Simone Boccanegra

Guiseppe Verdi
26.05.2007 | Musiktheater im Revier Gelsenkirchen

MUSIKALISCHE LEITUNG: Samuel Bächli
REGIE: Gabriele Rech
BÜHNE: Stefanie Pasterkamp
KOSTÜME: Nicola Reichert
AMELIA: Hrachuhi Bassenz / Regine Herrmann
SIMONE: Jee-Hyun Kim
FIESCO: Nicolai Karnolsky
GABRIELE: Christopher Lincoln
PAOLO: Günter Papendell

Presse

Simon Boccanegra 29.05.2007 – WAZ regional
Gefeiert im Großen Haus: „Simon Boccanegra“, von Gabriele Rech inszeniert, von Samuel Bächli am Pult der Neuen Philharmonie im MiR dirigiert Das» Musiktheater im Revier hatte sich nicht für die übliche zweite Fassung (1881), sondern die zunächst durchgefallene Erstversion (1857) entschieden: eine bemerkenswerte Wahl. Diese Premiere geht in die deutsche Theatergeschichte ein: Erstmals wurde ein Termin wegen der deutschen Fußballmeisterschaft verschoben -doch Schalke 04 löste die Erwartung nicht ein. Dass das Alternativdatum vielen nicht in den Plan passte, sah man an den den leeren Plätzen im MiR. Schade – doch die Produktion dürfte zum Renner der Saison werden.

Hans-Jörg Loskill

Der Fiesco im Fiasko 29.05.2007 – Kultur
Gelsenkirchen. Bei der Uraufführung 1857 fiel „Simone Boccanegra“ durch, erst nach starker Bearbeitung fand die Oper ab 1881 internationales Echo. Umso überraschender, dass sich Gabriele Rech am Musiktheater im Revier auf die Erstversion stützt. Mit Erfolg.

Düster bleibt das Werk auch hier. Gegenüber der Zweitfassung, in der die Utopie eines vereinten Italien am Horizont erscheint, wirkt das „melo-dramma“ geschlossener, dichter, auf den Vater-Tochter-Konflikt konzentriert.

Boccanegra wird Doge von Genua. Sein Gegenspieler Fiesco hasst ihn, weil er seine Tochter entehrt haben soll. Über den Krieg der Väter hinaus dokumentiert Verdi das verzweifelte Sehnen nach Glück. Fiesco ist der Verlierer, Boccanegra stirbt den Gifttod, beweist aber zuvor noch Güte und Reue. Tochter Amelia kann mit Gabriele Adorno, dem Nachfolger im Dogenamt, ihre Zukunft aufbauen.

Rech kümmert sich wenig um die geschichtliche Einordnung. Sie sieht den leidenden Vater, die liebende Tochter. Abhängigkeiten analysiert sie als kammerspielartiges Psychodrama. Dirigent Samuel Bächli hellt die Partitur, wo es möglich ist, auf. So entsteht ein lyrisch beseeltes Charakterbild. Die Neue Philharmonie artikuliert die Partitur eher leichtgewichtig. Gelsenkirchens Belcanto-Stimmen sind ausgezeichnet eingesetzt. Der samtene Sopran von Hrachuhi Bassenz (Amelia) ist ein Vergnügen. Mit großem, differenziert geführtem Bariton steht ihr Jee-Hyun Kim in der Titelpartie kaum nach. Finsterling von heroischem Format: Nicolai Karnolsky als Fiesco, der ins Fiasko gerät. Christopher Lincoln als Gabriele und Günter Papendell als Verschwörer Paolo Aliani reihen sich ein. Der Chor (Nandor Ronay) singt in der Faschismus-Architektur von Stefanie Pasterkamp tadellos.

Hans-Jörg Loskill

Ein leuchtender Simon Boccanegra 30.05.2007 – Neue Ruhr Zeitung
OPER. Ein musikalisch und szenisch geglückter Verdi-Abend am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen.

Zwischen „Traviata“ und „Maskenball“ führt „Simon Boccanegra“ eher ein Schattendasein in Giuseppe Verdis mittlerer Schaffensperiode. Dabei hat gerade die Urfassung von 1857 durchaus ihre musikalischen Reize und bedeutet durch ihre Verlagerung von der äußeren auf die innere Handlung eine Herausforderung für den Regisseur. Am Musiktheater im Revier ist in diesem Sinne von einer geglückten Neuproduktion zu berichten. Gabriele Rech konzentriert sich bei ihrer sensibel ausgeleuchteten Inszenierung auf die Darstellung seelischer Räume. Die immer wieder neuen psychischen Konstellationen spiegeln sich als abstrakte Räume in unterschiedlicher farblicher Lichtgestaltung, variablen Bühnenpodesten und Schiebewänden. So verbleibt der Prolog wie auch der Dogenpalast in düsteren Schwarzweißtönen, während Amelia in luftig blauem Ambiente und Hochzeitskleid auf ihren Lover Gabriele wartet. Gabriele Rech fokussiert durch exzellente Personenregie und sparsame Symbolik auf das Wesentliche. So verkörpert Jee-Hyun Kim die Titelpartie – gesanglich von baritonaler Würde geprägt – differenziert und hintergründig mit seelischer Noblesse und Gewissensqualen. Ebenso verbindliches Format weiß Nicolai Karnolsky mimisch wie stimmlich dem Fiesco zu verleihen. Amelia und, Gabriele sind bei Hrachuhí Bassénz und Christopher Lincoln in guten Kehlen, Günter Papendell gibt dazu einen vortrefflichen Paolo. Und Samuel Bächli am Pult der recht fein zeichnenden Neuen Philharmonie Westfalen hat Verdis Partitur kontrastreich aufgefächert zwischen knallig-schroffen, sakralen und behutsam begleitenden Passagen.

Viel Applaus dafür vom Premierenpublikum.

Klaus Albrecht

Nachtschwarze politische Tragödie 01.06.2007 – Westfälische Rundschau
Die Konstellationen sind verworren; doch versucht Rech durch klare Personenführung, verschiebbare Palastwände aus Reispapier und überschaubare Bilder das Knäuel langsam zu entwirren und dramatischen Fluss zu entfachen. Das ist nicht einfach, denn zwischen Vorspiel und erstem Akt liegen 20 Jahre. Atmosphärisch beklemmend arbeitet Rech die Zuspitzung des Konflikts und das Ende des Dogen heraus: Seine Enttäuschung und Verbitterung über die Untreue des Günstlings Paolo; dessen Verschwörung gegen ihn und den Giftmord, der den Boccanegra mit seinem alten Feind Fiesco versöhnt.

Die Sängerdarsteller sind Verdis tiefem Seelenkampf gewachsen. Der schwere, aber auch lyrisch blühende Bariton von Jee-Hyun Kim verleiht dem Titelhelden Emotionalität und Größe; einen gleichwertigen Widersacher findet er in Nicolai Karnolsky (Fiesco), dessen schwarzer Bass Schärfe und Empfindsamkeit ausstrahlt.

Michael-Georg Müller

Simon Boccanegra Juni 2007 – Familienpost online
Gerade auf den Aspekt des Menschlichen in diesem Drama konzentriert sich die Regiearbeit Gabriele Rechs, die schon mit anderen Inszenierungen in Gelsenkirchen betraut war. Sie will vorrangig den in der 1. Fassung relevanten melodramatischen Aspekt der Oper herausarbeiten: Liebe und Hass, die persönlichen Konflikte der Kontrahenten, das Sehnen nach Glück trotz aller Intrigen. Das gelingt ihr unaufdringlich gut, abseits vom typisch italienischen Opernpathos [… ] Stefanie Pasterkamps funktionales Bühnenbild nähert sich in seinen strengen Strukturen der Architektur eines faschistischen Staates an. Personen werden da, wo es gewollt wird, auf podienähnlichen Versatzstücken wie von Marionettenhand bewegt, eine beeindruckende Sichtweise. Samuel Bächli als musikalischer Leiter hält jederzeit die „Fäden” der Neuen Philharmonie sicher und gekonnt in der Hand. Nie lässt er seine Musiker zu laut überziehen, sondern sorgt bei leichter Stabführung für Präzision, für Klarheit und Transparenz. Er ist ein versierter Sängerdirigent. Lang anhaltender Beifall als Dank für einen außerordentlichen Opernabend!

H.J. Koch