Otello

Guiseppe Verdi
05.10.2013 | Staatstheater Nürnberg

MUSIKALISCHE LEITUNG: Guido Johannes Rumstadt
INSZENIERUNG: Gabriele Rech
BÜHNE: Dieter Richter
KOSTÜM: Gabriele Heimann
CHOREOGRAFIE: Tarmo Vaask
DRAMATURGIE: Kai Weßler
PHOTOS: Ludwig Olah
OTELLO: Vincent Wolfsteiner
DESDEMONA: Ekaterina Godovanets
JAGO: Mikolaj Zalasinski
CASSIO: Sergio Blazquez
RODERIGO: Hans Kittelmann
LODOVICO: Taehyun Jun
MONTANO: Sébastien Parotte
EMILIA: Judita Nagyová
EIN HEROLD: Daniel Dropulja

Video

Presse

Otello – 06.10.2013 – Der Opernfreund – online
Respekt für diesen spannenden Abend, der in der klar strukturierten Bühne Dieter Richters (ein hoher, offener Raum, der im 3. Akt einfach und sinnfällig mit einer Rückprojektion vervielfacht wird; ein Casino mit einem vielseitig verwendbaren Billardtisch; eine anheimelnd verrostete, durchbrochene Wand mit dem Herrschaftszeichen der Serenissima) die Geschichte konsequent und deutlich, doch ohne primitive Effekte erzählt.

Wann und wo spielt diese Geschichte? In einem nicht näher definierten 20. Jahrhundert, in dem der „schwarze Mann“ nicht deshalb schwarz ist, weil er aus dem versklavten Afrika kommt, sondern weil, wie Max Frisch geschrieben hat, der Eifersüchtige immer der Schwarze ist – und so wird Othello im Laufe des Abends sich selbst, buchstäblich, zu einem Schwarzen machen. So rettet die Inszenierung die Problematik und die Frage, was denn heute noch das Stigma des Schwarzen bedeuten könne. Gewaltiger Beifall für eine intelligente wie sinnliche Ensembleleistung von hohen Graden: für eine wunderbare Desdemona, einen packenden Jago und einen erschütternden Othello.

Frank Piontek

Nachgeschminkt in den Tod – 07.10.2013 – Die Deutsche Bühne – online

Es gibt eine wirklich faszinierende Szene in dieser nahezu punktgenau zum Verdi-Jubiläum herausgebrachten Nürnberger „Othello“-Inszenierung von Gabriele Rech, die sie über alle Aufführungs-Konventionen triumphieren lässt: Wenn der vor Eifersucht tobende Held, der soeben im venezianischen Palais vor aller Augen seine „weiße Frau“ demütigte, die Verachtung der feinen Gesellschaft spürt, klatscht er sich grimmig eine Portion schwarzer Farbe ins Gesicht. Aus dem eben noch gefeierten „Löwen von St. Marco“, der bis dahin im gesellschaftlich anerkannten Solariums-Teint auftrat, ist innerhalb weniger Sekunden wieder „der Mohr von Venedig“ geworden. Nachgeschminkt zum „schwarzen Mann“ kann er nun ganz und gar der personifizierte Wutanfall sein, als den ihn die Regie durch die Augen der Zuschauer (und des Widersachers Jago, der sich am Ende scheinheilig zwischen das Publikum in die Anonymität des dunklen Parketts zwängt) sehen möchte. Er bleibt einsam bis in den Tod, denn in der letzten Szene ist die ermordete Desdemona bereits nach Regieanweisung abtransportiert, als er den Irrsinn seiner Tat erkennen und verzweifelnde Reue also dem trostlos leeren Ehebett vortragen muss. Der Selbstmord ist ein Fanal der Einsamkeit.

Von Dieter Stoll

Otello, Staatstheater Nürnberg – 07.10.2013 – Süddeutsche Zeitung

… Vincent Wolfsteiner ist Otello in Nürnbergs Neuproduktion von Giuseppe Verdis später Shakespeare-Vertonung. Und er ist es mit jedem Zoll seines Körpers und jedem Ton seines intensiven, dunkel leuchtenden Singens, das schillert wie ein irregulär geschliffener Diamant, seines fast Sprechens und immer wieder Schreiens.

Endlich sieht und hört man, dass dieser Mann als Sklave schuften musste, Krieger war – und noch ist; dass er sich seinen Platz an der Spitze der venezianischen Gesellschaft hart erarbeiten musste, aber mit der Heirat einer Weißen in der High Society ein Tabu gebrochen hat. Als Otello von Desdemonas Schuld überzeugt ist, reißt er sich die Kleider vom Leib und steht da an der Rampe wie ein waidwundes Tier: zitternd, der nackte, massige Oberkörper schutzlos. Erst zu Beginn des dritten Akts wird der Statthalter Venedigs auf Zypern wieder mit seiner Uniform gepanzert. Aber jetzt ist es zu spät. Wie er Desdemona mit unerbittlichem Nackengriff quälend langsam auf den Boden zwingt, wie ihm die Höflinge erst den Sekt vor die Füsse schütten, ihm dann Teer in Gesicht und Haare schmieren, auf dass er endgültig zum bedrohlichen, schmutzigen Mohren werde, das er niedrigt diesen Mann aufs Äußerste – vor sich selbst und allen anderen. Und doch hofft die Desdemona der nicht minder großartigen Ekaterina Godovanets, deren jugendlich dramatischer Sopran viele Facetten besitzt, immer noch auf ein Wunder.

Obwohl die große Szene mit dem wunderbar unsentimental gesungenen Lied von der Weide, dem anschließenden Gebet und der verzweifelter Abschied von der Dienerin ihre Todesangst spiegelt umarmt sie Otello wie ein Kind, als der das Schlafgemach betritt, um sie schon bald mit ihrem weißen Schleier zu erwürgen. Schließlich allein, imaginiert er die Schönheit und Reinheit Desdemonas wie das Verlangen, sie zu küssen – und schneidet sich zu den letzten Takten der Musik die Kehle durch.

Gabriele Rechs zunehmd dichtere und schlüssigere Inszenierung spielt  einem heruntergekommenen Offizierskasino mit hohen Fenstern, das sich immer mehr nach hinten weitet – mit Sesseln und Billardtisch, auf dem Jago (trotz Indisposition eindrucksvoll böse: Mikolaj Zalasinski) und Otello liegen, wenn Jago hinterhältig den erotischen Traum Cassios erfindet, der ihn zum angeblichen Geliebten Desdemonas macht (Bühne: Dieter Richter).

Klaus Kalchschmid

Otello – 06.10.2013 – Nürnberger Zeitung

Ihre Inszenierung entfaltet diese Oper gekonnt als Psychodrama. Der entscheidende Lackmustest dabei ist jene Szene am Ende des 2. Aktes, wenn Jago Othello vom angeblichen Liebestraum des vermeintlichen Nebenbuhlers Cassio erzählt. Dramaturgisch ist das im sonst so raffiniert gewobenen Intrigengespinst wohl die einzige Schwachstelle von Verdis und Boitos Vorlage. Bis zu diesem Moment muss deshalb jede Inszenierung Othello glaubwürdig so weit demontiert und aufgewühlt haben, dass ihn Jagos simple und durchschaubare Erzählung zur Raserei bringt.

Rech gelingt das. Bei ihr entblößt sich Othello dabei endgültig, reißt sich das Hemd vom Leib, während er und Jago auf dem Billardtisch in einer Art Offizierskasino sich parallel betrinken und an ihren negativen Emotionen berauschen.

Thomas Heinold

Otello – 07.10.2013 – Nürnberger Nachrichten

Fulminanter Einstieg in die neue Nürnberger Opernsaison: Die Gesetze von Eifersucht und Intrige, die in tödliche Raserei ausarten, funktionieren in Giuseppe Verdis Geniestreich „Otello“ immer noch perfekt. Vincent Wolfsteiner in der Titelrolle erweist sich dabei als Idealbesetzung. Sie (Gabriele Rech)b vertraut auf die zwingende Fatalität der Geschichte und unterstreicht damit ihre ungebrochene Relevanz. Mit Eifersucht kommt 3ede(r) in Berührung. So oder so.

Und Rech vertraut einem Darstellerteam, das es in diesem Seelendrama versteht, ein hohes Maß an Spannung und Intensität zu erzeugen. Allen voran die drei Hauptfiguren: Vincent Wolfsteiner, der seine gefürchtete Ansprache an das Volk von der Mittelloge zelebriert, zeigt das bestürzende Porträt permanenter Selbstentäußerung. Es braucht nur wenig, dass Jagos Gift des Zweifels und Argwohns in ihm wie Hefe aufgeht. Es ist so typisch, dass ein nebensächliches Utensil wie ein Taschentuch zum Dreh- und Angelpunkt eines diabolisch perfekt gesetzten Gerüchts wird.

Packende Innenschau
So sehr Wolfsteiner auch körperliche Gewalt, Wahn und Rausch auslebt, so sehr drücken sich in seinem äußerst präsenten und präzise entwickelten Heldengesang auch leise Verzweiflung und Gebrochenheit aus. Ihm gegenüber Ekaterina Godovanets als Desdemona, die die mentale Veränderung ihres Gatten viel zu lange duldet. Ihre Leidensfähigkeit erreicht ein übermenschliches Maß und der fragile Hauch Todesahnung, den sie im „Lied an die Weide“ und im anschließenden Ave Maria verströmt, gerät zur packenden Innenschau. Obwohl indisponiert gemeldet, ist auf Mikolaj Zalasinski darstellerisch wie vokal als Jago prächtig Verlass: Um seine dämonischen Antriebsfedern szenisch noch zu betonen, muss er sein Bekenntnis zur Vergottung des Bösen vor dem eisernen Vorhang singen. Ein anderes Mal taucht er wie ein Geist in gleißendem Licht auf, in dem er sich auf einem langen roten Teppich von hinten an Otello heranpirscht.

Ein weiteres starkes Bild:
Wenn über die angebliche Liebesnacht Cassios mit Desdemona berichtet wird, liegen Otello und sein Einflüsterer halbnackt und lüstern auf dem Billardtisch. Mit solchen bewussten Ausrufezeichen gewinnt die Regie mehr, als wenn sie die ganze Story auf den Planeten der Affen gebeamt hätte, wie das Verdi schon in München passierte.

Jens Voskamp