Osud

Leoš Janáček
25.02.2006 | Staatstheater Kassel

MUSIKALISCHE LEITUNG: Rasmus Baumann
REGIE: Gabriele Rech
BÜHNE + KOSTÜM: Nicola Reichert
ZIVNY: Christopher Lincoln
MILA: Janet Harach
MILAS MUTTER: Lona Culmer-Schellbach
SUDA: Mark Bowman-Hester
LHOTSKY: Derrick Ballard
KONECNY: Stefan Adam
HRAZDA: Lars Rühl
VERVA: Falco Hönisch
SOUCKOVA: Monika Walerowicz

Presse

Osud 26.02.2006 – Niedersächsische Allgemeine
Kassel. Hätte Leo Janáek seinerzeit die Regisseurin Gabriele Rech als dramaturgische Beraterin gehabt (statt der unerfahrenen Freundin seiner Tochter, Feodra Bartoová), seine Oper „Osud“ (Schicksal) hätte vielleicht selbst ein anderes Schicksal ereilt. So vergingen hundert Jahre, in denen das Stück wegen seiner sperrigen Thematik und seiner verwirrenden Handlung als praktisch unaufführbar galt und kaum gespielt wurde. Die Kasseler „Osud“-Inszenierung von Gabriele Rech ist somit ein Rettungsversuch, eine Notoperation.

Operation gelungen, dem Patienten geht es wesentlich besser als vorher. Gabriele Rech hat ihn stabilisiert, indem sie die gesamte Handlung in eine Opernprobe verlegte. „Osud“ ist die Geschichte eines Komponisten, Zivny, der an einer Oper über den Komponisten Lensky, sein Alter Ego, schreibt und diese nicht beenden kann. „Osud“ ist aber auch die unglückliche Liebesgeschichte Zivnys mit der schönen Mila.

Der erste Akt schildert das Wiedersehen und die Versöhnung der beiden in einem mährischen Kurort, der zweite ihr unglückliches Leben mit Milas Mutter und dem kleinen Sohn Doubek sowie den tragischen Tod Milas und ihrer Mutter. Der dritte Akt aber, in dem Zivnys Oper von Konservatoriums-Studenten aufgeführt werden soll, führt in die Katastrophe. Zivny erkennt, dass er nicht nur an der Vollendung der Oper gescheitert ist, sondern am Leben selbst.

Rechs Kunstgriff, die gesamte Handlung in die Opernprobe zu verlegen, ist in seiner Einfachheit genial. Denn nun durchdringen sich reales Leben und künstlerische Überhöhung von Anfang an, und Zivnys wachsendes Unvermögen, Kunst und Leben auseinander zu halten, wird evident.

Dafür haben Gabriele Rech und ihre Bühnenbildnerin Nicola Reichert eine wirksame räumliche Konstellation gefunden. Die Bühne wird beherrscht von einem Probengerüst, das auf zwei Ebenen den Kurort wie auch Zivnys und Milas Wohnung andeutet. Dem steht ein Regieplatz inmitten des Zuschauerraums gegenüber, verbunden durch eine Rampe als schmaler Grat zwischen Realität und künstlerischer Darstellung.

Auch das Publikum ist in diese Situation hineingenommen: Es wohnt einer Opernaufführung über eine Opernaufführung über eine Opernaufführung bei.

Das Entscheidende aber ist: Die szenische Raffinesse dient einem Werk, dessen Musik zum Besten gehört, was Janá-ek für die Bühne geschrieben hat. Sie ist voller rhythmischer Kraft, komplex und vielschichtig im wörtlichen Sinne. Und sie ist Theatermusik durch und durch. Kaum Melodien, die im Gedächtnis bleiben, aber Klänge, Farben und Rhythmen, die ungeheuer intensiv Atmosphärisches, dramatische Situationen, ja selbst einander widerstreitende Emotionen ausmalen.

Rasmus Baumann, Kassels Erster Kapellmeister, arbeitet dies durch rasche Tempi, klare Farbzeichnung und manchmal sogar ruppiges Musizieren eindrucksvoll heraus.

Ein großer Chor und viele, teils auch kleine Solorollen bilden ein starkes vokales Element. Aus dem soliden sängerischen Niveau ragt Janet Harach als Mila vor allem in ihren lyrischen Momenten hervor. Christopher Lincoln bewältigt die Riesenrolle des Zivny sehr achtbar und hat in den großen Schlussmonologen die stärksten Momente. Lona Culmer-Schellbach gibt der Mutter dramatisches Gewicht. Erst vorsichtiger, dann herzlicher Beifall.

Werner Fritsch / Hess

Spiel der Ebenen 28.02.2006 – Göttinger Tageblatt
“Osud“ von Leos Janácek in Kassel Es gehört Mut dazu, eine so gut wie nie gespielte Oper auf den Spielplan zu setzen. “Osud“ (Schicksal) von Leos Janácek hatte am Sonnabend Premiere im Kasseler Kuppeltheater: ein packendes Theatererlebnis, auch wenn sich das Werk gegen nur genießenden Konsum sperrt.

… Und Regisseurin Gabriele Rech sattelt noch eine Ebene darauf: Zu erleben ist die Probe der Oper ­ und der Zuschauer weiß nicht immer, wann von der jetzigen Beziehung der Hauptpersonen die Rede ist, wann von der vergangenen Beziehung, wann die Bühnenhandlung in die gespielte Probe wechselt. Stellenweise verstärkt und schärft Rech Züge der Handlung, was die Wirkung intensiviert… Die Gleichzeitigkeit all dieser Ebenen spiegelt sich im Bühnenbild von Nicola Reichert, in dem Kurpark, Milas Wohnung, Zivnys Arbeitszimmer und Bühne ineinander verschränkt sind. Der Effekt: Der Zuschauer wird förmlich hinein gesogen in eine Welt, die sich der realen Zuordnung immer wieder entzieht und so zu neuem, faszinierendem Eigenleben erwacht.

von Michael Schäfer

Da trifft ihn der Blitz 28.02.2006 – Frankfurter Rundschau
Von Georg Pepl

Leos Janáceks genialische Schubladen-Oper „Schicksal“ hat in Kassel einen starken Auftritt

Es gibt sie also noch, die brillanten Operninszenierungen in Kassel. Und dies mit einem wahrlich schweren Brocken. Zwar gilt die Musik von Osud (Schicksal) zu Recht als vorzüglich. Aber über die Handlung meinte selbst Janáceks Biograf Kurt Honolka: Wenn es je ein tödliches Libretto gab, dann dieses.

Erster Akt: In einem Kurort trifft der Komponist Zivny seine Ex-Geliebte Mila, die ihn wegen eines soliden Bürgers verlassen hatte. Zum Widerwillen von Milas Mutter flammt die alte Liebe neu auf. Zweiter Akt, vier Jahre später: Das Paar lebt zusammen. Zivny erläutert seine Oper über die gemeinsame Lebensgeschichte. Die inzwischen wahnsinnige Mutter springt vom Balkon und reißt Mila mit in den Tod. Dritter Akt, elf Jahre später: Studenten proben Zivnys unvollendete Oper. Der durchlebt nochmals die Geschichte seiner Liebe. Da trifft ihn ein Blitz.

Zur Rettung des genialischen Schubladenstücks schlug Honolka vor, einen Teil des dritten Akts als Vorspiel zu verwenden. In Kassel lässt die Regisseurin Gabriele Rech die Aktabfolge unangetastet. Sie löst die dramaturgischen Probleme mit einem verblüffend einfachen Trick – und inszeniert das Werk als Probe zur Uraufführung von Zivnys Oper. Mit Nicola Reichert (Bühne, Kostüme) und Albert Geisel (Licht) schuf sie eine Flut an starken, verwirrend schönen Bildern im Kasseler Kuppeltheater. Ein Kabinettstück über Künstlerwahn und Erinnerungen, über die Kluft zwischen romantischer Existenz und Alltag und über die Rolle der Frau beim Thema männliche Kreativität.

Da probt ein Komponist, der in sein Werk hineingezogen wird, nicht bloß im metaphorischen Sinn. Von seinem Klavier im Zuschauerraum verschlägt es ihn immer wieder auf die Bühne, die zugleich einen Kurort, ein Wohnzimmer und einen Konservatoriumssaal darstellt. Anders als im Original stirbt die böse Mutter durch Zivnys Hand, nicht durch einen dubiosen Balkonsprung. Mila schneidet sich die Pulsadern auf, eine Blondine im roten Kleid, aber mehr als eine schöne Leiche, denn im Finalakt kehrt sie in der Gestalt der Studentin Kosinska wieder.

Die Stille vor dem Schluss 01.03.2006 – Leipziger Volkszeitung
Von Tobias Wolff

Lohnende Wiederentdeckung: Leoš Janáceks Künstler-Oper „Osud“ (Schicksal) am Staatstheater Kassel

Die Kasseler Produktion (die erste hierzulande seit 15 Jahren) besitzt …. alles, was man sich wünschen kann. Das den Raum strukturierende Bühnenbild von Nicola Reichert lässt mehrere Deutungsmöglichkeiten zu, die geschmackvollen Kostüme definieren klug den Unterschied zwischen den Zeitebenen der Handlung und Regisseurin Gabriel Rech hat einen klaren Blick für die entscheidenden Abläufe und bringt mit konsequenter Personenführung viel Transparenz in die komplizierten Handlungsstränge der Oper.

Osud 10.03.2006 – FAZ
In Kassel aber erweist sich das Raum-Provisorium in einem großen Zelt…als geradezu idealer Aufführungsort. Die Regisseurin Gabriele Rech und ihre Bühnenbildnerin Nicola Reichert zaubern ein beinahe zirzensisches Raum-Licht-Klangtheater mit „Osud“ herbei. Der Komplexität von Janáceks Werk-Dramaturgie fügt man eine adäquate szenisch-bildliche Dramaturgie hinzu, mit der das Stück quasi parallel noch einmal „erzählt“ wird. Gabriele Rech behält, anders als einst Kurt Honolkas Bearbeitung, die Aktfolge bei, unterstreicht damit die Fragment-Dimension des Werkes….Immer wieder stürzt der Komponist vom Klavier inmitten des Zuschauerraums auf die Szene, das Spiel zu ordnen, es noch weiter als Janácek zu durchbrechen. Dabei entstehen hinreißende theatralische Bilder und Szenen. Auch Grausiges, wenn der Komponist die Mutter eigenhändig erwürgt und die Tochter sich die Pulsadern aufschneidet. Der tödliche Balkonsturz der beiden war immer ziemlich albern. Das Kasseler Ensemble…intensiviert das Szenische durch engagierte Einzelleistungen …

Zur Inszenierung passt die (musikalische) Interpetation ausgezeichnet

Die Regisseurin Gabriele Rech und ihre Bühnenbildnerin Nicola Reichert zaubern ein beinahe zirzensisches Raum-Licht-Klangtheater … Dabei entstehen hinreißende theatralische Bilder und Szenen.Auch Grausiges, wenn der Komponist die Mutter eigenhändig erwürgt und die Tochter sich die Pulsadern aufschneidet. …

Gerhard Rohde

Wie eine Regisseurin Janácek rettet – www.Opernetz.de
Die Oper „Osud – Schicksal“ gilt als fast unspielbar – das Staatstheater Kassel beweist das Gegenteil

Realität und Imagination gehen ineinander über, Oper und Leben werden zur tödlichen Symbiose. Gabriele Rech inszeniert in der Zelt-Arena ein furioses Spiel, nutzt die Räume für attraktive Auftritte.Das Kasseler Publikum erlebt einen außergewöhnlich emotionalen Opernabend, geht auf die Atmosphäre krasser Diskrepanzen ein und spendet – nach hörbarem Ausatmen – langanhaltend Applaus! (frs) Opernnetz.de