Norma

Vincenzo Bellini
WA: 12.01.2018 | Staatstheater Wiesbaden

MUSIKALISCHE LEITUNG: Willi Humburg
INSZENIERUNG: Gabriele Rech
BÜHNE: Matthias Schaller, Susanne Füller
KOSTÜME: Susanne Füller
L: Andreas Frank
CHOREOGRAFIE: Albert Home
DRAMATURGIE: Katja Leclerc
NORMA: Erika Sunnegårdh
ADALGISA: Anna Lapkovskaja
POLLIONE: Scott Pipere
OROVESO: Young Doo Park
FLAVIO: Aaron Cawly
CHOR & STATISTERIE: Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, Hessisches Staatsorchester Wiesbaden

Norma – 20.01.2015 – Frankfurter Allgemeine Zeitung
Zeitlos ist das Motiv von der Frau, die vom Mann um einer Jüngeren willen verlassen wird. Es steht für die Regisseurin Gabriele Rech eindeutig im Mittelpunkt, dies auf Kosten der Rolle als Priesterin. Matthias Schaller und Susanne Füller lieferten das adäquate Bühnenbild für eine Frau von heute. (…) Dies sind die Grundzüge eines eigenwilligen, eines mutigen Konzepts, das denn auch nicht ohne Widerspruch des Premierenpublikums blieb. Freilich überwog der Beifall für die Sänger und das Orchester deutlich, was auch vollauf berechtigt war. Offensichtlich ging es Will Humburg darum, das Vorurteil über Bellini als weichlich-elegischen Belcantisten mit endlosen Melodielinien zu differenzieren, wie schon die straff zupackende Ouvertüre bewies. Auch im weiteren Verlauf sorgte der Dirigent für wirkungsvolle Impulse bei einer Aufführung, die zunehmend an dramatischer Spannung und atmosphärischer Dichte gewann. Dies gilt auch für Erika Sunnegårdh in der Titelrolle: Mit dem Finale des ersten Akts, das die fatale Dreieckskonstellation in einer furiosen Auseinandersetzung bloßlegt, wuchs sie stimmlich wie darstellerisch in eine dominierende Position. Musikalische Höhepunkte waren die Duette mit Anna Lapkovskaja als Adalgisa. (…) [Scott Piper] überzeugte als römischer Prokonsul Pollione vor allem durch, sein mächtiges Organ. Durchweg glücklich besetzt die kleineren Partien; Young Doo Park als Normas Vater Oroveso, Aaron Cawley als Polliones Freund Flavio und Stella An als Normas Vertraute. Stets im Hintergrund, dennoch von Albert Home hörbar gut vorbereitet, bleibt der Chor. (…) In dem Schlachtruf »Guerra, guerra«, der noch von Blechbläsern aus der Loge befeuert wird, kann er seine Schlagkraft beweisen.

Gerhard Schroth

Norma – 20.01.2015 – Deutschlandfunk.de
Dirigent Will Humburg und Regisseurin Gabriele Rech deuten Vincenzo Bellinis »Norma« am Hessischen Staatstheater Wiesbaden auf interessante Weise neu. Bellinis politische Geschichte eines Aufstands interpretiert Rech psychologisch als Innenleben der Titelheldin. (…)

Die private, vor allem aber die politische Krise markiert der Dirigent der Premiere, Will Humburg, klanglich auf zupackende Weise. Höchst nervös, extrem angespannt und explosiv beginnt die Ouvertüre. Will Humburg am Pult peitscht das Hessische Staatsorchester förmlich auf. Wenn Norma den Verrat ihres Geliebten entdeckt, ihre Leute zum Aufstand ruft und die kriegerischen Massen die Bühne stürmen, dann klingt das Kriegsgeschrei nach Gemetzel. Humburg und seine Musiker kennen aber auch die stillen und zögerlichen Momente der Partitur, ihre Scheu vor Gewalt, ihre Sehnsucht nach Frieden. Diesen changierenden Charakter des Werks, das den patriotischen Elan immer wieder reflektiert und pazifistisch einzudämmen versucht, gestalten die Wiesbadener sehr genau und malen die lyrischen Passagen zudem in weiten Bögen aus, etwa wenn Norma ihr Friedensgebet intoniert. In der Titelrolle die schwedische Sopranistin Erika Sunnegårdh. (…) Erika Sunnegårdh trumpft hier nicht groß emotional auf, sie sucht eher eine Innerlichkeit, Adalgisa, gesungen von der aus Weißrussland stammenden Anna Lapkovskaja, ist der sängerische Lichtblick der Premiere. Farbenreich ist ihr Mezzo. Bis in die letzten Reihen greift er schmeichelnd aus.
Ihre Gefühle angesichts der Erfahrungen mit dem Verführer Pollione spielen Anna Lapkovskaja und Erika Sunnegardh sehr subtil. Und genau darauf, auf ihr Schicksal als missbrauchte Frauen hat es die Inszenierung von Gabriele Rech abgesehen. Rech zeigt mit ihrer »Norma« die uralte und sich immer wiederholende Geschichte von der verkümmerten erotischen Liebe, wenn der Rausch der frühen Jahre vorbei ist, die Kinder großgezogen wurden, der lange Lauf in der Ebene zur Last geworden ist und der Mann sich aus Überdruss junges Frischfleisch sucht und es findet. In Wiesbaden sehen wir die verlassene Mutter Norma in ihrem schicken modernen Schlafzimmer mit dem viel zu großen, leeren Ehebett. Sie heult und säuft und hängt ihren Gedanken nach, traurigen und hass- und racheerfüllten. Bellinis politische Geschichte eines Aufstands deutet Regisseurin Rech psychologisch klug als Innenleben der Titelheldin. Hinter der durchsichtigen Leinwand eines Riesengemäldes neben dem Bett wird der innere Aufruhr sichtbar. Hinter der Gazebespannung des Gemäldes treten Bellinis Soldaten auf, verkünden den Krieg – alles nur Fantasien der verletzten Frau, die ihrem Leben mit einer Überdosis an Medikamenten ein Ende macht. So vergegenwärtigt und fokussiert die Regie auf interessante Weise eine alte Oper.

Christoph Schmitz

Norma – 20.01.2015 – Frankfurter Rundschau
Die neue Wiesbadener »Norma« ist ein Sängerinnenfest, nach der »Frau ohne Schatten« zur Spielzeiteröffnung das zweite mit der Schwedin Erika Sunnegårdh. Ihre große dramatische Stimme passt besser zu Richard Strauss als jetzt zu Vincenzo Bellini, aber sie ist bei aller Macht schlank genug, um den technischen Herausforderungen gewachsen zu sein. (…) Neben Sunnegårdh als Titelheldin ist Anna Lapkovskaja als Normas Freundin und Rivalin Adalgisa zu hören, das stimmlich weich-füllige Gegenstück, an Kraft der Kollegin gleich, und nicht zuletzt optisch sind die beiden ein großartiges. Paar. (…) Von gediegener Mächtigkeit sein [Polliones] dunkler Gegenspieler Oroveso, Young Doo Park. Will Humburgs Dirigat ist zupackend und lockt weniger einen kapriziösen als einen schwungvollen, energischen, sehr verdihaften Bellini hervor. Das ist überzeugend, das Orchester stellt sich unbedingt darauf ein, der Chor auch; musikalisch ein großer Abend. (…) Norma ist eine »Karrierefrau«, was Sunnegårdh im geschäftlichen Kostüm und mit ihrem »House of Cards«-würdigen Kurzhaarschnitt leicht zeigen kann (Kostüme: Susanne Füller). (…) Ort des Geschehens ist ständig Normas schickes Schlafzimmer, vielleicht auch ein Hotelzimmer (Bühne: Matthias Schaller und Füller), wo sie die Beine hochlegt, während draußen der Chor nach ihr jiepert. Ein spannender Perspektivwechsel.

Judith von Sternburg

Norma – 20.01.2015 – Wiesbadener Kurier –
Vincenzo Bellinis Oper »Norma« ist in Wiesbaden heftig umstritten (…) In Wiesbaden kommen die Misteln als Deko in die Vase, nicht in den Zaubertrank. Jenseits der Boulevard-Eskapaden ist die Neuproduktion aber durchaus um eine ernsthafte Aktualisierung des Stoffes bemüht und hat dafür eigentlich etwas mehr verdient als das Buhgewitter, das am Ende über das Regieteam hereinbricht. Bellinis Priesterin mutiert in Matthias Schallers und Susanne Füllers hintergründigem Bühnenbild zu einer Politikerin im Kostüm, der das Doppelleben mit heimlicher Liebe zum Besatzer zunehmend entgleitet. (…) Dabei beeindruckt Erika Sunnegårdh durchaus mit ihrer energischen Präsenz als Sängerdarstellerin, die temperamentvoll über die Bühne turnt und die Selbstzerstörung, die sich schon im Alkoholkonsum andeutet, schließlich mit Gift vollendet. Norma krümmt sich allein auf dem Doppelbett, während der düstere Kriegstreiber Oroveso (achtbar: Young Doo Park) mit seinen Mannen Zeuge dieses traurigen Abgangs ist. Man darf übrigens gespannt sein, was von dieser sportlichen Norma übrig bleibt, wenn Belcanto-Altstar Edita Gruberova bei den Maifestspielen die Partie übernimmt. Vielleicht werden dann wieder in aller Ruhe Misteln geschnitten.

Volker Milch