Madama Butterfly

Madama Butterfly

Giacomo Puccini
02.04.2022 | Musiktheater im Revier

MUSIKALISCHE LEITUNG: Giuliano Betta / Askan Geisler
REGIE: Gabriele Rech
DRAMATURGIE: Hanna Kneißler / Olaf Roth
BÜHNE: Dirk Becker
KOSTÜM: Renée Listerdal
LICHT: Thomas Ratzinger
CIO CIO SAN: Ilia Papandreou
B. F. PINKERTON: Carlos Cardoso
SUZUKI: Noriko Ogawa-Yatake
SHARPLESS: Urban Malmberg / Petro Ostapenko / Piotr Prochera
GORO: Tobias Glagau
KATE PINKERTON: Scarlett Pulwey
FÜRST YAMADORI: Daegyun Jeong
ONKEL BONZO: Michael Heine

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Presse

Tiefe Wunden – 16.05.2022 – Opernwelt
Sextourismus ist – leider Gottes – international, und die sexuelle Ausbeutung von Frauen trägt viele Namen. Im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen heißt sie „Madama Butterfly“ und stammt aus der Feder von Giacomo Puccini.
Die psychologisch nuancierte Inszenierung von Gabriele Rech nimmt ernst, was Puccini und seine Librettisten dem Werk (zwischen den Zeilen) eingeschrieben haben – eine große Empathie für die (verletzten) Gefühle Cio Cio Sans. Sogar in komischen Momenten wird Fallhöhe aufgebaut, beispielsweise wenn jene groteske Verwandtschaft auftaucht, die auch noch Ansprüche an die (als Geisha verkleidete) Prostituierte stellt. Die Regisseurin legt die Mechanismen des patriarchalen Systems schonungslos frei und wird vom Publikum dafür gefeiert. Stehende Ovationen auch für Ilia Papandreou, die Cio Cio San (stimmlich wie spielerisch) in vielen Facetten und Farben verkörpert: von unschuldig bis verzweifelt. Von unerschütterlich liebend bis zum Zusammenbruch. Fast muss man befürchten, sie würde auf der Bühne tatsächlich wahnsinnig. Aber auch Carlos Cardoso wird gefeiert. Zu Recht, denn als Pinkerton mit kraftvollem tenoralen Schmelz ist er in weißer Admiralsuniform unwiderstehlich. Sein (von Fetzen der amerikanischen Nationalhymne begleitetes) Bekenntnis, er wolle in Japan Lebemann sein und sich nur amüsieren, meint dieser Gigolo sogar ernst. Und Madama Butterfly geht ihm auf den Leim; sie ist, wie viele Opfer, leider naiv. In Gelsenkirchen wacht sie aber aus der Lethargie auf. In der finalen Selbstmordszene rammt sie Pinkerton das Messer in den Bauch, statt sich selbst die Pulsadern aufzuschlitzen. Das hübsche japanische Dekor im modernen Wohnambiente mit Mezzanin von Bühnenbildner Dirk Becker ist zu diesem Zeitpunkt längst ruiniert, der exotisch verbrämte Menschenhandel entlarvt. „Wehr‘ dich, Frau!“ ruft es in jedem Moment.
Und eigentlich „sagt“ dies ja auch die Musik, die Giuliano Betta am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen großartig und mit viel Feingefühl für die wechselnden Stimmungen dirigiert. Die einsamen Flötenklänge im zweiten Akt setzen mit einer Verzweiflungskurve an, die sich zu pathetischen Momenten steigert, in denen asiatisches Flair instrumentalisiert wird. Im Orchesterzwischenspiel vor dem dritten Akt wird die Hoffnungslosigkeit auch im Bild unerträglich. Cio Cio San, Koffer in der einen und Kind in der anderen Hand, neben Dienerin Suzuki, blickt stumm ins Publikum.
Noriko Ogawa-Yatake ist eine ergebene Dienerin Suzuki, der man in jedem Moment abnimmt, wie sie hilflos mitleidet. 1994 war sie in Gelsenkirchen die Madama Butterfly, in Rechs Inszenierung. Intendant Michael Schulz hat die Regisseurin nach mehr als 20 Jahren nochmals um einen Blick auf das Werk gebeten, mit der Frage, wie sich ihre Sicht verändert habe. Ihre jetzige Arbeit zeigt deutlich auf, wie stark: Hinter dem Exotismus wohnt das Grauen, die menschliche Tragödie. Und trotz oder wegen der rührig-pathetischen Puccini-Musik legt Rech ihre Finger dieses Mal tief in die Wunde.

Sabine Weber

Endstation Sehnsucht – WAZ Kultur – 04.04.2022
Lauschen wir eingangs Volkes Stimme – Samstag, 22.25 Uhr, Musiktheater im Revier, Tür 9: „Überwältigend, nicht?“ „Ja, aber ich hatte es irgendwie anders in Erinnerung!“

Tatsächlich stehen beide Sätze der zitierten Betagten nicht im Widerspruch. Gabriele Rech, die ihre Karriere einst in Gelsenkirchen begann, inszeniert eine „Madama Butterfly“ mit vielen doppelten Böden, unerbittlich, am Ende gar mordlüstern waghalsig. Um schönes Schwelgen unter Kirschblüten geht es ihr keinen Augenblick. Was wir seit Jahrzehnten, (bei aller Bewunderung) in Puccinis Musik nicht überhören können, überträgt sie auf die Bühnenerzählung: Nie ist etwas echt gewesen an diesem Japan, das den amerikanischen Militär Pinkerton und die Geisha Butterfly zum Paar macht. Wir erinnern uns an das brüchige Konstrukt: Der abenteuerlustige Yankee freut sich über eine monatlich kündbare Ehe und geht bald in die USA. Das Mädchen, blind für das Kartenhaus-Konstrukt, glaubt an Liebe von Dauer.

Lieben heißt Lügen, Gefühle sind Fassade, das spinnt Rechs spannende, wenn auch im ersten Akt allzu sehr unter einer Fracht von Botschaften, Zeichen und Strängen ächzende Regie entschieden weiter. Pinkertons Residenz (in dem auch bei Puccini Frauen zum Inventar gehören) ist eine Kreuzung aus armseligem Varieté und Bordell, selbst Butterfly muss über den Schwindel lachen, da sie dem Werbenden ihr Alter mit „15“ angibt. Das feine Geishatum: billige Maskerade. Der Bräutigam: ein Parvenü, der rasch noch sein Chewing Gum in eine Yen-Note spuckt, ehe er (ins Mikro, wie in einer Karaokebar) schmetternd sein Land der unbegrenzten Möglichkeiten besingt.

Wie sehr selbst das kurze Glück bedroht ist, deutet nicht zuletzt Dirk Beckers Bühne, die links vom Tingeltangel der Eheanbahnung Hokusais berühmtes Bild „Große Welle vor Kanagawa“ als Katastrophe in der Wartestellung auffährt. Rech setzt nach dem ersten Akt die Pause, danach ist alles zerstört, die Papierwände des Pavillons verbrannt wie von einem Anschlag, Kollateralschaden kultureller Unterschiede. Butterfly selbst: heruntergekommen, eine Säuferin. Es ist schwer zu ertragen, aber ganz nah an der Geschichte – Hoffnung ist hier ein ewiges Begräbnis. Als Relikt trägt sie noch immer Pinkertons längst schmuddelig vergilbte Offiziersjacke. Lieben heißt Lügen, Pinkerton hat Butterfly belogen, Butterfly aber belügt sich bis zum bitteren Ende selbst.

Die Intensität, mit der dieser Abend das sinnlose Warten aufs Glück erzählt, kann einen unmöglich kalt lassen. Das Bild, in dem – starr in jeder Hinsicht – Butterfly mit Koffer, dem gemeinsamen Kind, und ihrer treuen Dienerin Suzuki Pinkertons Rückkehr erwartet, ist schmucklos still inszeniert – und samt Plastikblumen umso erschütternder. Eine Schicksalsgemeinschaft, Endstation Sehnsucht.

Es gab gewaltigen Jubel für diesen Abend. Er galt an erster Stelle Ilia Papandreous Butterfly: wie die Sopranistin (anfangs noch hörbar nervös) sich von der mädchenhaften Duldsamkeit zum Furor der Verzweiflung aufschwingt, ist nicht weniger als ein Ereignis. Das Aalto-Theater sandte Carlos Cardoso als Pinkerton: herrlich fester Tenor-Kern, die Aufschwünge mühelos, sinnliche Schönheit – da stimmt einfach alles. Noriko Ogawa-Yatake war vor einem Vierteljahrhundert Gelsenkirchens Butterfly, nun singt sie deren Dienerin, mit Altersspuren, gewiss, aber umso anrührender. Tobias Glagau als Goro fällt auf: Rech zeigt ihn als Zuhälter, Glagau singt ihn mit feschem Glanz.

Der Opernchor unter Alexander Eberle zeigt sich einmal mehr als Stütze des Hauses. Große Momente hat die Neue Philharmonie Westfalen: Puccinis fragile Textur lässt das Orchester vor allem in den leisen Passagen kostbar schimmernd erblühen, auch das Martialische wird imposant ausgesungen, die Blechbläser sind in brillanter Form, vor allem die Trompeten, für die Puccini Herausforderndes bereithält. Giuliano Betta am Pult könnte die Dimension des Klangs mitunter noch drosseln, den Sängern zuliebe. Alles in allem zweifellos: ein guter Abend für das Große Haus.

L. von der Gönna

Der traurige Ruf des Rotkehlchens – Das Opernmagazin – 03.04.2022
[…] In ihrer Inszenierung nimmt uns Gabriele Rech mit in eine bunte Scheinwelt. Das typisch japanische, dass so exotisch wirkende Ambiente, wird dem amerikanischen Soldaten Pinkerton nur allzu gern dargeboten. Gegen harte Dollars natürlich. Und Goro, der örtliche Heiratsvermittler, hängt dann auch schon mal selbst die rotleuchtenden Lampions auf, um dem Amerikaner seine Japanträume träumen zu lassen. Und dazu gibts für den zahlenden Amerikaner die passende junge Frau. Sie und ihre angebliche Verwandtschaft halten Einzug ins angemietete Haus vom Soldaten Pinkerton, um Hochzeit zu halten. Und ab hier wird klar, dass Gabriele Rech mit ihrer Regie andere Wege geht. Denn während es um den Amerikaner Pinkerton herum nur so von exotisch-asiatischen Eindrücken und Accessoires wimmelt und kaum ein Klischee ausgelassen wird (Bühne: Dirk Becher, Kostüme: Renée Listerdahl), erscheint die „junge Geisha“, genannt Butterfly, völlig landesuntypisch in westlicher Kleidung. Diese Butterfly ist nicht die junge, arme Geisha aus Nagasaki. Vielmehr steht sie für jede Frau auf der Welt, die ähnliche oder gleiche Erfahrungen wie jene Madama Butterfly machen musste. Rech lässt ihre Cio-Cio-San daher auch sehr „westlich“ wirken, selbstbewusst, mitunter aufreizend und geradezu provokant. Sollte sie nicht eher brav, naiv, unterwürfig und sittsam sein? So dass sofort erkennbar wird, wer das spätere Opfer der Geschichte ist? Im letzteren Fall wäre es dann eine andere Inszenierung geworden. Eine mit bekanntem Ende. So aber geht Rech einen anderen Weg und das Publikum ging ihn mit.

In Rechs MADAMA BUTTERFLY darf die Cio-Cio-San alles sein: naiv, frech, fordernd, bittend, abwartend aber auch ungeduldig. Und doch ist sie in allem eines: eine liebende Frau, die bitter erkennen und realisieren muss, dass sie belogen und betrogen wurde. Von einem US-Marinesoldaten, der seine Landgänge auf egoistische Weise angenehm gestalten wollte. Dem es nie um echte Gefühle und Liebe ging, der nur den schnellen Sex in seinen freien Dienstzeiten gesucht hat. Eine weitere Trophäe für seine Machosammlung. Der sie schwanger zurückliess um in seiner Heimat eine Frau – natürlich eine amerikanische Landsfrau – standesgemäß zu heiraten. Dem es gleichgültig war, ob im fernen Japan eine junge Frau und ein – sein – Kind auf ihn warten. Dadurch, dass in der Gelsenkirchener Inszenierung die Titeldarstellerin in westlicher, nicht japanischer, Kleidung agiert, berührt ihr Schicksal fast noch mehr. Gabriele Rech gestaltet die Geschichte um die junge Geisha Cio-Cio-San als ein universal geltendes Sozialdrama mit maximaler Fallhöhe für die betroffene Frau. Die Frau ist es, die am Ende verlassen, ohne finanzielle Mittel, oftmals von der eigenen Familie geächtet, mit ihrem Kind dasteht und ihr Leben meistern muss. (Im Bühnenbild deutlich zu erkennen, wie im zweiten Teil der Oper der Verfall in den Räumlichkeiten Einzug gehalten hat.) Aus einstiger Liebe entstehen Hass und Verachtung für den Verursacher dieser Lage. So auch in Rechs Butterfly-Regie: Am Ende ersticht sie den Mann, auf den sie jahrelang gewartet hat und der sie in dem Moment seiner sehnlichst erwarteten Wiederkehr so tief verletzt und gedemütigt hat. In Puccinis Original erdolcht sie sich am Ende selbst, begeht nach alten japanischen Ritual den Harakiri. Hier verändert Gabriele Rech das Ende der Oper. Tatsächlich? Ist Madama Butterfly nicht bereits in dem Moment gestorben, als sie realisierte, dass alles, was für sie so sehnsuchtsvoll und begehrenswert schien, nur eine infame Lüge war? Und als die Rotkehlchen eine ganz andere Melodie sangen, als erhofft? Eine beeindruckende Regie!

Eine Aufführung der Butterfly steht und fällt mit der Besetzung der Titelpartie. In Gelsenkirchen wurde dafür am Ende die Sopranistin Ilia Papandreou für ihre gesangliche und überaus starke darstellerische Leistung vom Premierenpublikum bejubelt. Und das völlig verdient. Frau Papandreou gestaltete diese überaus anspruchsvolle Partie absolut überzeugend. Wie sie die Gefühlswelten der Cio-Cio-San in dieser für sie fordernden Inszenierung dem Publikum vermittelte, war beeindruckend. Und auch gesanglich eine Topleistung: Sie legte viel Gefühl und Wärme in ihren Gesang, wusste aber auch, an den dramatischen und entscheidenden Stellen der Partie ihrer Stimme großen Ausdruck und Kraft zu verleihen. Besonders eindringlich ihre Szene im zweiten Akt, der berühmten Arie „Un bel di vedremo…“, für die sie verdientermaßen Szenenapplaus erhielt. Hier erlebte das Premierenpublikum eine höchst intensive Darstellung, die die Verzweiflung der Cio-Cio-San so packend spürbar werden ließ. Die Bravorufe für Ihre Butterfly waren hochverdient!

Mit Carlos Cardoso als Pinkerton hat das Musiktheater einen weiteren Besetzungs-Glücksgriff getan. Kraftvoll und höhensicher seine gesangliche Interpretation des jungen US-Marinesoldaten. Das große Duett mit ihm und Butterfly zu Ende des ersten Akts war ganz sicher einer der musikalischen Höhepunkte des Abends. Sehr stark auch schon sein „Dovunque al mondo“ zu Beginn der Oper, in der er wie ein – durchaus attraktiver – Popstar agierte und nicht mit Spitzentönen geizte. Im Finale der Oper spielte er dann einen zerrissenen und von Selbstvorwürfen gequälten Mann und legte noch einmal sehr viel Gefühl in sein „Addio, fiorito asil“ – Top! Eine wirklich großartige Leistung des portugiesischen Tenors, die das Publikum mit großem Beifall belohnte.

Als Suzuki war Noriko Ogawa-Yatake die ideale Dienerin und Partnerin der Butterfly. Sie spielte die Rolle mit kleinen, eher zurückgenommenen, Gesten aber dabei mit großer Intensität. Gesanglich das kongeniale Pedant zur Butterfly, was auch besonders im Duett („Scuoti quella fronda„) der beiden zum Ausdruck kam. Auch für sie viel Applaus und Bravorufe am Premierenabend.

Die Partie des Sharpless wird in Gelsenkirchen gleich dreifach besetzt. Am Premierenabend sang Urban Malmberg den US-Konsul sehr souverän und ausdrucksstark. Die inneren Zweifel, die den Konsul im Umgang mit der jungen Butterfly plagen, wusste Malmberg sehr authentisch zu vermitteln.

Die kleineren Partien waren auch diesmal in Gelsenkirchen allesamt bestens besetzt. Hier zeigt sich erneut auf eindrucksvolle Weise die große Ensembleleistung des Musiktheaters im Revier. Mit Tobias Glagau war ein schlitzohriger Goro zu erleben, der seine Partie so herrlich skrupellos, aber stimmlich bestens disponiert, darstellte. Daegyun Jeong als Fürst Yamadori, Michael Heine als Bonzo und Yisae Choi verliehen ihren Partien ebenso Profil wie Scarlett Pulwey (Mitglied des Jungen Ensemble am MIR) in der kleineren, aber durchaus wichtigen Partie der Kate. Mit Nea Prochera stand dann noch die jüngste aller Darstellerinnen auf der Bühne. Nea spielte die Rolle des Kindes der Butterfly und erhielt dafür vom Gelsenkirchener Publikum großen Applaus.

Der Opernchor des MiR (unter der Leitung von Alexander Eberle) war, wie seit langem in Gelsenkirchen gewohnt, wieder einmal mehr überzeugend einstudiert und wichtiger szenischer Bestandteil der Inszenierung. Natürlich darf auch die Statisterie des MiR hier nicht unerwähnt bleiben, denn auch ihr kamen viele Aufgaben in dieser Butterfly zu.

Die musikalische Leitung hatte Giuliano Betta. Er dirigierte Puccinis BUTTERFLY sehr gefühlvoll, aber auch mit packender Intensität in den emotional dramatischen Höhepunkten der Oper. Aber auch den leisen Stellen dieser Partitur, wie etwa dem „Summchor“ im zweiten Akt, verlieh Betta viel Gefühl. Puccini war bei Giuliano Betta in besten Händen! Die Neue Philharmonie Westfalen setzte seine musikalischen Vorgaben klanglich eindrucksvoll um und wurde daher ebenso wie ihr Dirigent, vom Publikum mit Applaus und Bravorufen bedacht.

Detlef Obens

Eine echte Liebe und viel falsches Lokalkolorit – theater pur – 04.04.2022
Im Theatersaal wird es abrupt dunkel. Und ebenso schnell wird es hell auf der Bühne. Da laufen die Vorbereitungen der „Hochzeit“ des amerikanischen Marineoffiziers Pinkerton mit der japanischen Geisha Cio-Cio-San. Und wir merken sofort: Nichts an diesem Fest ist echt, wie überhaupt die Lüge, das Verbrämen von Realität der Kern von Gabriele Rechs Inszenierung der Madama Butterfly ist. Sehr genau arbeitet sie heraus, was wahr ist und was falsch. Echt ist nur die tiefe Liebe der Geisha zum Amerikaner.

Zurück zur Hochzeit: die findet schlicht in einem riesigen Bordell statt. Dirk Becker hat die Bühne des Musiktheaters im Revier ganz intim gestaltet. Unten eine kleine Spielfläche, auf der sich die Figuren begegnen – in der ersten Etage wird die Handlung kommentiert. Goro, der Heiratsvermittler, ist nichts weiter als ein schmieriger Zuhälter. Er bezahlt seine Nutten dafür, dass sie bei der Hochzeit als japanische Familie auftreten – eine Show, die Pinkerton das rechte Maß an Exotik bieten kann. Gabriele Rech spart dabei nicht mit dem Spiel mit Ethno-Kitsch: Japanische Papierlampions beleuchten die Szenerie während der Hochzeitszeremonie, sorgen für scheinbar unendliches Behagen im Brautgemach und leiten mit einem „Lichtertanz-Ballett“ das grausame Finale ein. Und auch sonst fehlt nichts an Chinoiserien, die mit Japan nichts zu tun haben. In unserer Vorstellung sind sie aber mit Asien fest verwurzelt – wie die winkende „Grinsekatze“.

Gabriele Rech spielt mit Vorurteilen und Äußerlichkeiten. Aber das wirklich zutiefst Beeindruckende ist, dass auch der folkloristische Zinnober von Rech als Mittel zum Zweck genutzt wird, um tief in die Handelnden hinein zu blicken.

Cio-Cio-San ist es, die im Mittelpunkt steht. Renée Listerdal als Kostümbildnerin betont das Echte, Unverfälschte, in dem sie die Butterfly frei hält von allem Lokalkolorit. An ihrem Outfit ist nichts unecht. Da gibt es keine Geishaverkleidung mit Obi. Und Rech geht noch einen Schritt weiter: Nichts bleibt bei ihr übrig von einer zarten japanischen, ergebenen Frau. Madama Butterfly ist hier eine selbstbewusste Frau, die bedingungslos liebt, diese Bedingungslosigkeit aber auch von ihrem Partner einfordert. Zu dieser Hingabe ist Pinkerton nicht in der Lage und muss deshalb die Konsequenzen tragen. Und die enden in seinem Tod. Konsequenter Schlusspunkt: „Ehrenvoll sterbe, wer nicht länger in Ehren leben kann“ singt die Butterfly und ersticht nicht sich selbst sondern Pinkerton, der bequem nur auf seinen Vorteil bedacht war und wahre Liebe nicht kennt.

Michael Schulz hat in Gelsenkirchen über Jahre hinweg ein Ensemble geformt, das sich blind versteht, perfekt harmoniert und immer wieder junge Talente integriert. Das ist eine Glanzleistung, die auch in der Madama Butterfly wieder für einen reibungslosen „Flow“ und eine gleichmäßig qualitätvolle Besetzung der kleinen Rollen sorgt. Mit fülligem Klang trägt Alexander Eberles Chor zum Hörerlebnis bei – bleibt auch darstellerisch nichts schuldig.

Urban Malmberg singt den Sharpless eher unsensibel, ist der typisch amerikanisch Besatzer mit Überlegenheitsgehabe. Mitleid, Mitgefühl ist bei ihm weniger zu spüren. Noriko Ogawe-Yatake, einst selbst in Gelsenkirchen in der Titelrolle zu erleben, ist eine wunderbar fürsorgliche und mitleidende Suzuki.

Carlos Cardosos Tenor ist sicher das, was man zu recht strahlend nennen kann. Freude, Lebenslust und Unbekümmertheit legt er in seine Stimme, singt die Probleme mit Grandezza fort und offenbart so Pinkertons gnadenlose Rücksichtslosigkeit und Egomanie – ein Rollenportrait, das über jeden Zweifel erhaben ist!

Das aber gilt auch für Cio-Cio-San. Ilia Papandreou ist von Beginn an kein kleines, unschuldiges, frisch verliebtes Mädchen. Ihre Liebe zu Pinkerton offenbart gleich eine Tiefe, die Papandreou immer wunderbar nuanciert ausbreitet und die schließlich in eine unüberbrückbare Kluft führt. Zu ganz großer Form aber läuft Papandreou auf, je weiter es auf das tragische Ende zugeht. Kaum auszuhalten, wie sie auf die Rückkehr des Geliebten wartet. Jede Silbe ausgedrückter Hoffnung wird fein gestaltet, Leid wird für das Publikum fast physisch erfahrbar. Und am Ende ist Papandreous Butterfly zwar desillusioniert, aber voller Würde und Selbstwertgefühl.

Papandreous und auch Cardosos Rollengestaltung gehen eine kongeniale Symbiose mit Rechs Regiekonzept ein. Und die Neue Philharmonie Westfalen unter Giuliano Betta entfacht ein brodelndes Fundament für die Gefühlsstürme auf der Bühne. Sänger*innen, Orchester, Dirigent und nicht zuletzt das Regieteam werden immens gefeiert.

Konrad Beikircher hat in seinem Opernführer Palazzo Bajazzo die Kategorie „Fazzoletto“ eingeführt. Wie viele Taschentücher braucht man, wie angefasst ist man von der Produktion? Also, ich habe fünf gebraucht. Das ist dann die Höchstwertung fürs Miterleben und Mitleiden.

Thomas Hilgemeier

Das Leiden der Cio-Cio-San – Der Opernfreund – 04.04.2022
Rund drei Jahre wartet Butterfly in der beliebten Oper von Giacomo Puccini auf ihren Ehemann. Fast genauso lange mussten die Besucher am Musiktheater im Revier auf die Premiere der Neuinszenierung von Madama Butterfly warten, die pandemiebedingt mehrmals verschoben werden musste. Anfang April war es dann endlich soweit und es lässt sich bereits an dieser Stelle feststellen: Das Warten hat sich gelohnt. Noch viel länger ist es her, dass am MiR schon einmal eine Madama Butterfly in einer Inszenierung von Gabriele Rech aufgeführt wurde. Am 08. Januar 1994 hob sich damals der Vorhang zum ersten Mal – in der Hauptrolle der Cio-Cio-San damals die junge Noriko Ogawa. In der Neuinszenierung übernimmt das langjährige Ensemblemitglied nun als Gast die Rolle von Butterflys erfahrener Begleiterin Suzuki, so schließt sich auch hier ein Kreis.

Nach nunmehr deutlich mehr als 25 Jahren inszeniert Gabriele Rech erneut eine sehr sehenswerte Madama Butterfly, die mit einer kleinen aber durchaus entscheidenen Ausnahme sehr werkstreu daher kommt. Ihre Cio-Cio-San ist hierbei gefangen in der eigenen Illusion, ihr Mann käme sicher bald nach Japan zurück um sie mit in eine von ihr herbeigeträumte idyllische Zukunft in den Vereinigten Staaten von Amerika zu nehmen. Tragisch hiebei anzusehen, wie sich San immer wieder selber belügt, da sie in dieser Inszenierung grundsätzlich eine sehr kluge Frau ist. Und doch ist es die unendliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die sie weiter in einer Illusion leben lässt, die geradewegs auf eine Katastrophe zusteuert. Aber auch Pinkerton erliegt im ersten Akt der Illusion von Goro, der durch eine bunte und folkloristische Heiratszeremonie über den faden Beigeschmack der schlichten Prostitution hinwegtäuschen will. Sehr gut gelungen ist in diesem Zusammenhang die gesamte Gestaltung des ersten Aktes, die einem künstlich inszenierten Spektakel gleicht, in dem Pinkerton eine Hochzeit vorgespielt wird, bei der die Teilnehmer ganz offensichtlich nur für Geld angagierte Schauspieler sind. Das Bühnenbild von Dirk Becker und die Kostüme von Renée Listerdal spielen hierbei mit vielen Klischees der japanischen Kultur – bunte Kimonos, von der Decke herabgleitende Lampions und Kirschblüten, hier fehlt es an nichts. Nach einem starken Schlussbild des ersten Aktes, folgt im zweiten und dritten Akt vornehmlich das Elend in das sich Cio-Cio-San inzwischen befindet und bis zum bitteren Ende leidet man als Zuschauer regelrecht mit ihr mit. Scheinbar unendlich lang ist auch der Übergang vom zweiten in den dritten Akt, wo Butterfly während der gesamten Ouvertüre zum dritten Akt mit dem gepackten Koffer auf Pinkerton wartet, ein Bild das sich tief in die Seele des Zuschauers drückt.

Auch musikalisch ist die aktuelle Madama Butterfly sehr zu empfehlen. Unter der musikalischen Leitung von Giuliano Betta spielt die Neue Philharmonie Westfalen schwungvoll und mit großem Klang, ohne hierbei die Sänger zu übertönen. Die Titelpartie der Butterfly ist mit Ilia Papandreou ganz hervorragend besetzt. Mit einem klaren und sicheren Sopran meistert sie auch die schwierigen Partien. Eine höchst anspruchsvolle Aufgabe, wenn man bedenkt, dass sie die nahezu die gesamten 2 1/2 Stunden Spieldauer auf der Bühne steht und hierbei auch schauspielerisch durchaus überzeugen kann. Ihr zur Seite stand in der besuchten Vorstellung der amerikanische Tenor Joshua Kohl als Gast vom Theater Freiburg, der mit einem ganz hervorragenden Tennor glänzen konnte. Dass seine Rolle als absoluter Unsympat angelegt ist, er sich im ersten Akt an den Prostituerten erfreut und keinen Wert auf die Gefühle seiner japanischen Ehefrau legt und er sich im dritten Akt feige davonschleichen will, steht zwar im Gegensatz zum Glanz seiner Stimme, aber Kohl bringt auch diesen Part des überheblichen Amerikaners glänzend auf die Bühne. Als Suzuki steht wie bereits erwähnt Noriko Ogawa-Yatake auf der Bühne, die mit ihrem dunkel gefärbten Sopran ganz wunderbar mit Ilia Papandreou harmoniert. Außerdem verkörpert sie die liebevolle und besorgte Aufpasserin sowohl für Butterfly wie auch ihr Kind absolut treffend. Alle drei Darsteller wurden vom Publikum entsprechend nach der Vorstellung langanhaltend gefeiert.

Auch für die weiteren Rollen gab es großen Applaus. Auch wenn ihre Rollen vorlagenbedingt recht klein ausfallen, kommt ihnen zugute, dass Gabriele Rech mit einer guten Personenregie alle Rollen sehr klar gezeichnet hat. Sei es Petro Ostapenko als Konsul Sharpless, der zwar stets warnend den Zeigefinger erhebt, Cio-Cio-San am Ende aber auch nicht so hilft, wie es ihm vielleicht möglich gewesen wäre. Tobias Glagau gibt den Heiratsvermittler Goro als eine Art schmieriger Zuhälter, der für Geld alle Wünsche erfüllt. Auch wenn sie wie im Fall des Fürsten Yamadori in etwas ausgefalleneren erotischen Phantasien bestehen. Daegyun Jeong kann in dieser kurzen Partie ebenso gefallen wie Scarlett Pulwey als Kate Pinkerton. In sehr kühler Art und Weise lässt sie echte Gefühle nicht zu, auch sie scheint sich in ihrer eigenen Fassade eingemauert zu haben. Da in Gelsenkirchen eine Fassung verwendet wird in der Kate am Ende statt Sharpless zusichert, sich gut um das Kind kümmern zu wollen, sie es am Ende vor dem großen Finale sogar auf dem Arm von der Bühne trägt, kommt ihr trotz kleinem Part doch eine größere Bedeutung zu. Ob sie sich aber wirklich gut um das Kind kümmern wird, darf an dieser Stelle zumindest angezweifelt werden. Und so schließt sich auch hier der Kreis, was ist Realität und was nur Illusion.

Insgesamt darf sich der Zuschauer bei Madama Butterfly in Gelsenkirchen auf eine stimmige Inszenierung freuen, die auch musikalisch vollkommen überzeugen kann. Wer vor der Sommerpause also nochmal Lust auf große Oper verspürt, ist hier sicher an der richtigen Adresse.

Markus Lamers

Butterfly mit anderem Ende – Online Musik Magazin – 03.04.2022
Dass ein gängiges Repertoire-Stück wie Madama Butterfly an einem Opernhaus nach über 20 Jahren in einer neuen Inszenierung herausgebracht wird, ist grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Dass Noriko Ogawa-Yatake als Ensemble-Mitglied in beiden Produktionen eine zentrale Rolle übernimmt, darf hingegen durchaus als etwas Besonderes betrachtet werden. Während sie in der damaligen Inszenierung die Titelpartie übernahm, hat sie sich nun zum Ende ihrer aktiven Zeit im Ensemble des MiR gewünscht, noch einmal die Suzuki interpretieren zu können. Das Haus, an dem Ensemble-Arbeit unter der Intendanz von Michael Schulz einen großen Stellenwert hat, ist nicht nur diesem Wunsch nachgekommen, sondern hat außerdem mit Gabriele Rech die Regisseurin verpflichtet, die bereits die letzte Produktion von Madama Butterfly hier inszeniert hat. Da darf natürlich mit Spannung erwartet werden, wie sich ihr Blick auf das Stück nach über 20 Jahren verändert hat. Zunächst einmal bleibt Rech bei der 2. Fassung, die von Brescia aus einen Siegeszug um die ganze Welt antrat und auf die zahlreichen politischen Anspielungen mit kritischem Unterton verzichtete. Nur bei der Figur der Kate Pinkerton greift sie auf die zweiaktige Urfassung zurück und fügt einen kurzen Dialog zwischen ihr und Butterfly ein, in dem Kate Butterfly versichert, für das Kind gut zu sorgen – diesen Part übernahm in der zweiten Fassung Konsul Sharpless. Mit dem Ende der Oper schlägt Rech einen neuen Weg ein, der zwar so nicht im Libretto steht, aus heutiger Sicht jedoch durchaus nachvollziehbar ist.

Bereits zu Beginn der Ouvertüre sieht man Butterfly mit ihrem kleinen Kind und einem großen Koffer abfahrbereit in ihrem weißen Hochzeitskleid auf der Bühne stehen und darauf warten, von Pinkerton nach Amerika geholt zu werden. Pinkerton hingegen vergnügt sich derweil lieber mit zwei Prostituierten auf der rechten Bühnenseite an einer kleinen Bar. Das Bühnenbild von Dirk Becker macht in zwei Ebenen deutlich, dass hier ein künstlich inszeniertes Japan vorgespielt wird, so wie man sich in Europa zu Puccinis Zeit wohl ein exotisches fernes Land vorgestellt hat. Ein Glitzervorhang in der oberen Ebene lässt wie die opulenten Kostüme von Renée Listerdal vermuten, dass hier alles nur Show ist. Durch diesen Vorhang tritt Butterflys Onkel Bonzo (Michael Heine) wie eine Art Samurai aus einem Computer-Spiel auf, um Cio-Cio-San zu verfluchen, da sie ihren Glauben verraten habe und zum Christentum konvertiert sei. Später sieht man hinter diesem Vorhang, wie sich die Mitglieder des Chors abschminken, die vorher noch als Cio-Cio-Sans Familie der Hochzeitszeremonie beigewohnt haben. Drei Statist*innen zeigen, dass die pseudo-romantische Geschichte letztendlich in einem Bordell spielt. Ein Podest in der unteren Ebene ist ebenfalls mit einem Glitzervorhang umgeben und verdeutlicht, dass auch die Hochzeit nur eine Show ist. Inwiefern Butterfly sich dieses Spiels bewusst wird, lässt Rech in ihrer Inszenierung offen, auch wenn Cio-Cio-San als durchaus reife Frau in Szene gesetzt wird und allen klar ist, dass sie keine 15 mehr ist, wie es im Libretto heißt.

Besonderes Augenmerk richtet Rech auf die kleineren Partien. Da ist zunächst der Fürst Yamadori (Daegyun Jeong) zu nennen, der im zweiten Akt um Cio-Cio-San wirbt. Wieso sich die drei Statist*innen immer noch bei Butterfly in dem mittlerweile recht verfallenen Haus befinden, ist nicht klar. Jedenfalls bändelt Yamadori zunächst mit einer Prostituierten an und zeigt sich relativ grob, bevor er sich Butterfly gegenüber recht devot präsentiert und ihr sogar die Lederstiefel küsst, die sie dazu angezogen hat. Ob Butterfly in ihrer Situation wirklich die Stärke besitzt, den einflussreichen Yamadori wie einen dressierten Hund vorzuführen, ist diskutabel. Auch Kate Pinkerton (Scarlett Pulwey) erhält in Rechs Inszenierung mehr Spielraum, als man es aus anderen Inszenierungen kennt, was nicht nur an den zusätzlichen Zeilen liegt, die sie zu singen hat. Wenn sie im dritten Akt mit Sharpless und ihrem Gatten Pinkerton bei Butterfly auftaucht, rückt sie bereits beim Terzett zwischen Sharpless, Pinkerton und Suzuki optisch ins Zentrum, weil sie währenddessen vor den anderen auf der Bühne auf einem Stuhl sitzt. Pulwey besticht dabei durch eine großartige Mimik, die diese Figur als recht unterkühlt und abweisend zeigt. Es darf bezweifelt werden, dass diese Person für Butterflys Kind die notwendige Liebe aufbringen wird. Auch die Schwäche Pinkertons scheint Kate zu verachten und weist seine Trost suchenden Berührungen brüsk zurück. Der von Alexander Eberle einstudierte Chor wird als Cio-Cio-Sans Familie mit großem Spielwitz in Szene gesetzt. Dass die Tanzerei bei den Hochzeitsfeierlichkeiten nicht ganz zur Musik passt, mag beabsichtigt sein, um das trügerische Japan-Bild zu unterstreichen, das hier kolportiert werden soll. Immerhin setzen einzelne Choristinnen dabei auch ihre Perücke ab und fallen somit ebenfalls aus der Rolle.

Die Titelpartie ist mit Ilia Papandreou großartig besetzt. In der berühmten Arie im zweiten Akt, „Un bel di vedremo“, punktet Papandreou mit großer Dramatik und glänzt mit höhensicherem Sopran und intensiver Darstellung. Gleiches gilt für ihren Schlussgesang „Tu, tu, piccolo idio“. Szenisch legt sie die Figur als selbstbestimmte Frau an, die genau weiß, was sie will. Wieso sie dem Charme Pinkertons erliegt und drei Jahre auf ihn wartet, scheint bei ihrem Charakter zunächst nicht ganz nachvollziehbar zu sein. Dies mag Rech vielleicht dazu verleitet haben, das Ende abzuändern. Wenn Butterfly den Dolch ansetzt, um sich die Pulsadern aufzuschneiden, hört man aus dem Off Pinkerton ihren Namen rufen. Sie hält inne, und scheint zu erkennen, dass dieser Mann es nicht wert ist, für ihn das eigene Leben zu beenden. So kommt es zu einer weiteren Begegnung zwischen Butterfly und Pinkerton. Pinkerton läuft ihr entgegen und will sie in die Arme schließen. Doch für eine Versöhnung ist es zu spät. Butterfly tötet ihn mit dem Dolch, der für ihren Selbstmord bestimmt war. Carlos Cardoso stattet die charakterlich absolut undankbare Rolle des Pinkerton mit kraftvollen Höhen aus und hat zu keinem Zeitpunkt Probleme, mit seinem Tenor über das Orchester zu kommen. Darstellerisch nimmt man ihm den überheblichen und selbstverliebten Marineleutnant in jedem Moment ab. Besonders überzeugend zeichnet er Pinkertons Feigheit im letzten Akt.

Für Noriko Ogawa-Yatake ist die Partie der Suzuki in jeder Hinsicht eine Paraderolle. Stimmlich meistert sie die Rolle mit dunkel gefärbtem Sopran. Darstellerisch reicht ein bloßer Blick, um einen tiefen Einblick in die misstrauische Seele dieser Figur zu gewähren. Butterfly gegenüber strahlt Ogawa-Yatakes Mimik eine solche Wärme aus, die spüren lässt, wie ergeben sie ihr ist. Ein musikalischer Höhepunkt ist das Duett mit Papandreou im zweiten Akt. Von Pinkertons Reichtum lässt sie sich jedoch gar nicht beeindrucken und bleibt höflich distanziert, ohne dabei verletzend zu sein. All dies gelingt Ogawa-Yatake mit bloßer Mimik und Körpersprache, so dass es nicht verwundert, dass sie beim Schlussapplaus vom Publikum bejubelt wird. Urban Malmberg legt den Konsul Sharpless als recht schwache Figur an, der zwar Pinkertons Verhalten missbilligt, Butterfly jedoch auch nicht helfen kann. Stimmlich überzeugt er mit markantem Bariton und bewegendem Spiel. Besonders beeindruckend gelingt ihm der innere Kampf, den er durchlebt, wenn er versucht, Butterfly Pinkertons Brief vorzulesen, und es nicht fertig bringt, ihr zu sagen, dass Pinkerton nicht zu ihr zurückkehren wird. Tobias Glagau gestaltet den Heiratsvermittler Goro als leicht schmierigen Makler, der alles daran setzt, die Wünsche seiner Kunden zu erfüllen. Giuliano Betta findet mit der Neuen Philharmonie Westfalen einen gelungenen Mittelweg zwischen emotionsgeladenem wuchtigen Klang aus dem Graben, ohne dabei die Solist*innen auf der Bühne zu überdecken, und sehr intimen Momenten, die die Tragik des Stückes spürbar machen. Die US-amerikanischen Motive werden recht patriotisch angelegt, während die japanisch anmutenden Momente musikalisch einen starken Kontrast bilden.

Gabriele Rechs Inszenierung bleibt dem Stück treu, auch wenn sie einen gravierenden Einschnitt am Ende vornimmt, der aus heutiger Sicht aber durchaus realistisch scheint.

Thomas Molke

In emotionaler Not – TZ Hamm – 05.04.2022
Es ist nicht zu leugnen, und wenn die Musik noch so schwelgt, wir haben es mit einer Prostitutionsgeschichte zu tun. So glänzt auch in der Gelsenkirchener „Madama Butterfly“ der Billigflitter. Ein Asien-Theater wird aufgeführt, um den gelangweilten Marineleutnant Pinkerton zu amüsieren. Wir sind in einem Bordell, und zwar keinem feinen. Am Musiktheater im Revier inszeniert Gabriele Rech Puccinis Operngassenhauer als Geschichte von Ausbeutung und ihrer hilfreichen Dienerin, der Illusion. Wir sehen Pinkerton (Carlos Cardoso) als Mir-gehört-die-Welt-Yankee. Das Kaugummi spuckt er in einen der grünen Geldscheine, mit denen er um sich wirft, und stopft den Müll ins Whiskyglas, zwecks Entsorgung durch die Untergebenen. Pinkerton lässt sich eine 15-Jährige zuführen, während er von seiner eines Tages zu ehelichenden echt amerikanischen Frau träumt, er ist also kurz gesagt toxische Männlichkeit in Uniform. Dafür wird er am Ende bezahlen. Damit er sich nicht zu sehr als Freier vorkommt, spielen ihm Cio-Cio-Sans Verwandte Hochzeitstheater vor, in Kimonos, mit krudem Kitsch – Plastikspielzeug und Stofftierchen – in den schwarzen Perücken (Kostüme: Renée Listerdal). Der Betonbunker, der hier als Bordell dient, wird mit roten Laternen notdürftig romantisiert (Bühne: Dirk Becker). Das ist gut auf das Libretto abgepasst und erklärt den Zynismus Goros (Tobias Glagau), der als Zuhälter auftritt, ebensogut wie die Passivität des Sharpless, den Urban Malmberg passgenau zwischen Gutmütigkeit und Gereiztheit verortet. Es erklärt auch die zunehmende Verzweiflung der verlassenen Butterfly, für die es eben nicht nur um Liebe, auch nicht allein um ihre Existenz geht, sondern um die Frage, ob sie und ihr Kind (Nea Prochera) fortan als Prostituierte auf der Straße leben müssen. Rechs Regie demaskiert, sie karikiert zuweilen grob, etwa wenn sich Butterfly in eine amerikanische Flagge hüllt, später in eine japanische und im zweiten Akt eine Domina-Nummer mit dem Fürsten Yamadori (Daegyun Jeong) abzieht. Sie zeigt, wie ein Westler mit kolonialem Überlegenheitsgedanken ein Amüsement aus den Ritualen und Traditionen des Landes macht, in dem er sich bewegt, wie er auf seinen Illusionen besteht, und wie Einheimische mitspielen, um was abzubekommen vom schönen Geld. Als Onkel Bonzo (Michael Heine) erscheint, um Cio-Cio-San zu verstoßen, ist das ein purer Geisterbahnauftritt im Glamrock-Kostüm, gemacht, um dem Westler das Asien-Theater noch dramatischer zu gestalten.

Nur gibt es da eine Frau, die sich aus der Not heraus blind verliebt. Ilia Papandreou singt und spielt das wunderbar. Sie zeigt uns eine Butterfly, für die es ums Ganze geht, deren Stimmungsschwankungen und Drohungen im zweiten Akt nicht aus einem überlebten Ehrenkodex resultieren, sondern aus wirtschaftlicher Angst. Diese Butterfly weiß, was ihr passiert, sie hofft, weil sie alles auf eine Karte gesetzt hat. Papandreou gelingt es auch, die berühmteste Arie „Un bel di vedremo“ kultiviert, ohne etwa Schluchzer in der Gesangslinie, und zugleich intensiv zu singen, so dass spürbar wird, dass es hier um eine bittere Verflechtung emotionaler und wirtschaftlicher Not geht. Deshalb ist ihre Butterfly am Ende nicht mehr nur Opfer. Carlos Cardoso gibt einen virilen Pinkerton. Der Tenorglanz, den er in seiner Abschiedsarie verströmt, kontrastiert mit der Verwüstung, die er hinterlässt. Als Suzuki gelingt Noriko Ogawa-Yatake ein intensives Porträt zwischen Zuneigung und Härte. Die Neue Philharmonie Westfalen unter Leitung von Giuliano Betta fächert die Klangfarben der Musik sensibel auf und besticht mit einem feinen, transparenten Klang. Ebenfalls sensibel zeigt sich der von Alexander Eberle einstudierte Chor.

Edda Breski