Lucia di Lammermoor

Gaetano Donizetti
07.12.2001 | Städtische Bühnen Bielefeld

MUSIKALISCHE LEITUNG: Dirk Kaftan
REGIE: Gabriele Rech
BÜHNE + KOSTÜME: Sandra Meurer
LUCIA: Christiane Boesiger
ENRICO: Alexander Marco-Muhmester
EDGARDO: Ki-Chun Park / Harrie van de Plas

Presse

Ahnenwahn(sinn) Dezember 2001 – www.omm.de
Unglaublich, aber wahr: Lucia di Lammermoor basiert auf einer wahren Begebenheit! Im 17. Jahrhundert hatte eine gewisse Janet Dalrymple im Wahn ihren ungeliebten Bräutigam fast erdolcht; er überlebte, sie starb ein paar Tage später, ohne ihr Bewusstsein wiederzuerlangen. Sir Walter Scott nahm diese Begebenheit als Grundlage für seinen historischen Roman The Bride of Lammermoor, mit einigen dramatisch günstigen Änderungen: Während der historische Lord Baldoon die Attacke überlebte, musste der Bräutigam bei Scott (operngemäß) sterben. Dieser Roman wurde wiederum Grundlage für insgesamt neun Opern von 1829 bis 1854. Die einzige dieser Opern, die überlebt hat, ist die sechste, nämlich die von Donizetti aus dem Jahre 1834. Die neue Bielefelder Inszenierung arbeitet einen neuen Aspekt heraus: Lucias Wahnsinn ist nicht nur der eigene Konflikt, sondern die Folge einer Familientradition.

Treffend gestaltet Sabine Meurer den Bühnenraum und gibt dem düsteren Tenor der Handlung mit interessanten Lichteffekten Gestalt. Die meiste Zeit wird das Geschehen von einer Ahnengalerie beobachtet. Sie zeigt, im Gegensatz zur schottisch-düsteren Atmosphäre der Handlung, den Glanz vergangener Zeiten, einer besseren Welt. Sie steht auch im Zusammenhang mit einem Brunnen im Vordergrund , der, sowohl als Bühnenausstattung als auch Symbol einer anderen, geistigen Dimension, Teil des aktiven Geschehens und Kristallisationspunkt von Lucias Innenleben ist. Das Zusammenspiel beider Elemente führt zum logischen Schluss: Am Ende der Oper wird Lucia Vergangenheit, die letzte tragische Geliebte in einer langen Reihe.

Abseits von den anderen ist Lucia in ihrer eigenen Welt am Brunnen

Die Charakterisierung der einzelnen Personen von der Regisseurin Gabriele Rech hat interessante Aspekte: Lucia lebt schon am Anfang in ihrer eigenen Welt. Auch der „böse“ Bruder Edgardo ist nicht einfach nur boshaft und grausam, pwie seine Ahnen tendiert er selber auch zum Wahnsinn. Er kämpft gegen die inzestuöse Liebe zu Lucia, in einem Augenblick verliert er sich selbst und vergreift sich beispielsweise am eben gelieferten Brautkleid, im nächsten Augenblick misshandelt er seine Schwester. Die einzelnen „normal“ denkenden Menschen sind der schmierige Reiche Arturo und der vom Unglück verfolgte Edgardo. Dieser ist ein feuriger, leidenschaftlicher junger Mann. Im ersten Duett werden die Gegensätze zwischen ihm und Lucia deutlich: Er fordert von ihr Treue, während sie sich in der Trauer um seine Abreise verliert.

Besonders hervorzuheben sind die Leistungen der Sänger, die stimmlich und darstellerisch überzeugen. Christine Boesiger gestaltet die wahnumflorte Titelheldin mit differenzierter Tonfärbung und souverän gemeisterten Koloraturen. Auch darstellerisch ist sie sehr aktiv, wenn auch manchmal nicht intensiv genug. Ebenfalls engagiert verleiht Alexander Marco-Buhrmeister mit seinem kraftvollen Bariton dem zerrissenen Charakter Enricos Ausdruck. Mit wechselnder, in einigen Passagen fast schneidender Farbgebung überzeugt er das Publikum. Ki-Chun Park ist sängerisch wie darstellerisch ein im Ensemble stimmiger Edgardo. Trotz einiger Anfangsschwierigkeiten meistert er mal kraftvoll-dynamisch, mal zart-melancholisch seine schwierige Rolle. Nicht zu vergessen seien Hans Griepentrog als stimmschöner Raimondo, Eteri Kokhodze als zuverlässige Alisa und Lassi Partanen als gemein-durchschlagender Normanno.

Mit hörbarer Spielfreude präsentiert das Bielefelder Orchester Donizettis Meisterwerk. Der junge temperamentvolle Dirigent Dirk Kaftan überzeugte durch sinnvolle Tempi und lebendige Agogik, spannungsvollen Aufbau der Szenen sowie nahtlose Zusammenarbeit mit Solisten und dem engagierten Chor.

FAZIT
Dank interessanter, fast ganz mit der Musik stimmiger Inszenierung und bemerkenswerter sängerischer Leistung überaus sehenswert!

Mariko Jacoby
www.omm.de