Hoffmanns Erzählungen

Jacques Offenbach
22.09.2007 | Staatstheater Kassel

MUSIKALISCHE LEITUNG: Patrik Ringborg
REGIE: Gabriele Rech
BÜHNE + KOSTÜM: Nicole Reichert
HOFFMANN: Kor-Jan Dusseljee
NIKOLAUS: Monika Walerowicz
OLYMPIA: Ingrid Fröseth
ANTONIA: Victoria Nava
GIULIETTA: Nicole Chavalier
LINDORF / COPPELIUS / MIRAKEL: Stefan Adam

Presse

Die Realität von Katastrophen 25.09.2007 – Fuldaer Zeitung
Beeindruckende Spielzeit-Eröffnung mit aktuellen „Hoffmanns Erzählungen“

Von Christoph A. Brandner

Die Welt war aus den Fugen: Vor allem im Nobelrestaurant Lutter’s, in dem alle fünf Akte von Jacques Offenbachs grandioser Oper „Hoffmanns Erzählungen“ spielten. Im Hause Spalanzani, in dem der Vater seine Tochter Olympia zur grellen Gesangspuppe dressiert hat. Im Hause Crespel, in dem sich der Vater an seiner Tochter Antonia vergangen hat. Und im Bannkreis der Dirne Giulietta, die Geilheit säte und Seelen erntete.

Mit Gabriele Rechs einleuchtend brutaler, beängstigend aktueller und bedrohlich realistischer Version von Offenbachs Werk, die von der Musik voll und ganz beglaubigt wurde, ist die Spielzeit am Staatstheater Kassel eröffnet worden. Zu ihrem Motto „Familie und andere Grausamkeiten“ leistete der musikalisch-szenische Teufelsreigen von Katastrophen, der von einem ausgeglichenen Ensemble und einem vorzüglich musizierenden Orchester getanzt wurde, einen beklemmend harten Beitrag.

Die Regisseurin verweigerte sich Sehgewohnheiten, befreite das Werk von spätromantischen Klischees, öffnete den Blick in real existierende, allzu bekannte Abgründe des menschlichen Lebens, verdichtete die stark kontrastierenden Handlungen zu einem duchgängigen Drama, in dem Frauen Opfer sind. Zentrum der Liebesaffären Hoffmanns bildete ein Raum der gehobenen Gastronomie, in dem von Anfang an alle Beteiligten beisammen waren. Übrig bleiben schließlich der trunkene Poet und seine tröstende Muse: „Man ist groß durch die Liebe, aber größer durch Tränen.“ Anlass, Zähren zu vergießen, gab es genug. Die Liebe erwies sich als Wahn.

Rechs Alptraum einer grausamen Party lebte von verstörenden, mitunter erschütternden Bildern und von der Einzigartigkeit der Offenbach-schen Musik, die „von der Panik des im Finstern verlorenen Kindes erfüllt ist“ (Siegfried Krakauer).

Unter der beherzt-sensiblen Leitung des neuen Kasseler Generalmusikdirektors Patrik Ringborg, eines ausgewiesenen Sänger-Dirigenten, genoss das Orchester des Staatstheaters die Melodien in ihrer unwiderstehlichen Schönheit, flexibel in Tempo und Artikulation, klar und prägnant, versonnen und dramatisch.

Kraftvolles tenorales Profil gab Kor-Jan Dusseljee der Titelrolle. Sein Hoffmann, dem es an Lyrik gebrach, war kein Dichter, sondern ein eher derber Schürzenjäger. Ingrid Frøseth sang koloraturensicher die armselige Olympia, Victoria Nava gab ihrer gequälten Antonia anrührende Sopran-Innigkeit, und Nicole Chevalier stattete ihre Giulietta mit vokaler Sinnlichkeit aus. Diese drei Damen übertraf die bravouröse Monika Walerowicz, deren deutlich aufgewertete Muse in das Zentrum der Aufführung rückte. Elegant-geschmeidige Gefährlichkeit ließ Stefan Adam seinen vier Bösewichtern angedeihen. Am Ende viel zu wenig Beifall, durchsetzt mit einigen Buhrufen für die Regisseurin.

Trugbilder und das Warten auf den Musenkuss 26.09.2007 – Gießener Allgemeine
Von Susann Adam

Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ am Staatstheater Kassel – Einstieg des neuen Musikchefs Patrick Ringborg

Am Anfang ist es eine Feuerzangenbowle: Sie berauscht, verwirrt, beflügelt. Der Dichter Hoffmann, liebeskrank und schaffensmüde, zecht mit seinen Freunden und erzählt auf ihr Drängen hin von seinen Liebschaften: Olympia, Antonia, Guilietta – und keine konnte ihm Glück bescheren.

Motive aus Werken des romantischen Dichters E.T.A. Hoffmann flossen ein in Jacques Offenbachs einzige Oper »Hoffmanns Erzählungen«. Der Dichter selbst spielt hier eine zentrale Rolle und wird mit seinen Phantasiegeschöpfen konfrontiert. Am Staatstheater Kassel setzte sich Regisseurin Gabriele Rech mit dem Stoff auseinander. Sie zeichnet, im Kontrast zur schwelgenden Musik Offenbachs, den Weg der Selbstzerstörung Hoffmanns nach. Alkohol spielt dabei eine zentrale Rolle. Er ist permanent dabei, als Medizin, als Tröster, vermeintlicher Kraftquell, als Helfer, schnell in den Abgrund zu gelangen.

Eigentlich ist da die Sängerin Stella, in die Hoffmann verliebt ist. Sie, die keine körperliche Rolle in der Inszenierung spielt, ist der Auslöser für seine Erinnerungen. Statt dessen ist Hoffmann permanent von seiner Muse umgeben. In Kassel verwandelt sie sich nicht in seinen Freund Niklaus und auf diese Weise kommt ihr nicht nur eine metaphysische, sondern eine körperlich-erotische Bedeutung zu. Sie wacht eifersüchtig über seine Handlungen: nicht nur um seinetwillen versucht sie, seine Berührung mit der Realität zu erhalten.

Ein glücklicher Dichter – kann der kreativ sein? Nicht im Sinne der Muse, denn dann wäre sie überflüssig. So ist auch zu verstehen, dass sie im 3. Akt mit ihrem Geigenspiel das Verderben der Sängerin Antonia (Victoria Nava) noch antreibt. Dieser 3. Akt hat eine zentrale Stellung innerhalb der Inszenierung. Verliebt sich Hoffmann im 2. Akt in die Puppe Olympia (Ingrid Froseth), die gar nicht automatenhaft handelt und wie Disneys Schneewittchen die Szene betritt (Ausstattung: Nicola Reichert). Hoffmann trägt eine rosarote Brille und erkennt zu spät, dass alles nur Spiel war. Antonia, die Sängerin, liebt er seit langem und wird von ihrem Vater verdrängt. Hier taucht die Frage auf, was bestimmend sein sollte im Leben: seine Träume verwirklichen oder sich zurück ziehen in privates Glück. Für Antonia hieße das, auf ihre Karriere zu verzichten und Hoffmann als perfekte Hausfrau zu beglücken. Nach Antonias Tod findet Hoffmann Trost in den Armen der venezianischen Kurtisane Giulietta (Nicole Chevalier). Interessant, wie Regisseurin Rech die Handlung miteinander verzahnt. Alle drei Frauen sind von Anfang an auf der Bühne, zunächst als stumme Teilnehmer des Gelages und später als Begleiter.

Von Akt zu Akt, von Frau zu Frau, nimmt die Handlung an Tempo zu, wird der Strudel, in dem sich Hoffmann befindet, reißender. Giulietta, die den Verliebten nur benutzt, treibt ihn, genauso wie die diabolischen Gegenspieler Lindorf/ Coppelius/Mirakel/ Dapertutto (Stefan Adam) in die Katastrophe: er ermordet ihren früheren Geliebten und wird, getrieben von seiner Lust, zum Schuldigen. Schauplatz ist Venedig, mitten im Karneval. Da passt es, dass am Ende die Masken fallen, sich Hoffmanns Treiben als Trugbilder erweist. Er lebt inmitten der Dämonen, die ihn zeitlebens verfolgen und zerstören. Am Ende sitzt er einsam am Tisch und singt noch einmal das Lied von »Klein Zach«, verzerrt: ein Spiegel seines traurigen Daseins.

Regisseurin Rech spielt mit Bildern in ihrem »Hoffmann«: am Anfang sitzt die Gesellschaft an einem abendmahlsgleichen Tisch, die Szenerie rundherum erinnert an ein antikes Amphitheater. Von oben bieten Balkone immer wieder einen Überblick auf das Geschehen, aus der Distanz. Je schwelgerischer die Musik, desto stärker der Abgrund, auf den das Geschehen zusteuert.

Überhaupt, die Musik. »Hoffmanns Erzählungen« war der Einstieg des neuen Kasseler Generalmusikdirektors Patrik Ringborg. In burschikoser Leichtigkeit entfaltete sich der Melodien- und Facettenreichtum des Offenbachschen Werkes. Und die Sänger? Großartig, wobei Monika Walerowicz als Muse die Nuancen von Liebe, Eifersucht, kühler Selbstbeherrschung souverän beherrschte. Perfekter Partner war Kor-Jan Dusseljee als Hoffmann, der seinen Part als rastlos Suchender ebenso überzeugend ausgestaltete.

Abgründe hinter sanft wiegenden Rhythmen 28.09.2007 – Göttinger Tageblatt
von Michael Schäfer

Nach dem erfolgreichen konzertanten Einstand hat Patrik Ringborg, der neue Generalmusikdirektor des Kasseler Staatstheaters, mit Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ seinen hoch entwickelten Sinn für klangfarbliche Abstufungen und musikalische Dramatik unter Beweis gestellt.

Wir befinden uns in einer zeitgemäß modern gestylten Kneipe. „Lutter’s“ steht in blauen Neon-Leuchtbuchstaben an der Wand. Es wird getrunken, gekichert, geflirtet, gegessen, gesungen. Allerdings – unbeschwert fröhlich ist die Stimmung nicht. Man ahnt: Etwas Böses lauert im Hintergrund, Menschen spinnen Intrigen, suchen den eigenen Vorteil auf Kosten anderer.

Die Oper „Hoffmanns Erzählungen“ ist eben nicht ausschließlich etwas für Melodien-Gourmets, die sich einmal im sanften Rhythmus der Barcarole wiegen wollen, sondern eine sehr hintergründige, doppelbödige Angelegenheit. Das hat Regisseurin Gabriele Rech in Kassel mit viel Sinn fürs Detail klar herausgearbeitet. Sie lässt alle Akte im selben Bild (die farbige, fantasievolle Ausstattung stammt von Nicola Reichert) spielen. Hinter der eleganten gesellschaftlichen Fassade blitzen die Aggressionen auf. Lüsterne Männer nehmen sich die Frau mit Gewalt, sexuelle Fantasien werden ohne Rücksicht auf andere ausgelebt (wiewohl nicht zur Befriedigung von Voyeuren auf die Bühne gebracht). Mit diesem Ansatz wird die Regisseurin dem Libretto – und ebenso der Gespaltenheit der Titelfigur – beklemmend genau gerecht.

Musikalisch steht diese Aufführung auf hohem Niveau. Erin Caves ist ein höhensicherer, stimmgewaltiger Hoffmann, der seine Gefühle zwischen Traum und Verzweiflung bis zur Ekstase auslebt. Seinem Gegenspieler – in den Rollen des Lindorf, Coppelius, Mirakel und Dapertutto – gibt Stefan Adam geradezu dämonische Qualitäten.

Doch vor allem lebt diese Oper von den Frauengestalten. Itziar Lesaka als Muse, eine von der Regisseurin deutlich aufgewertete Partie, ist omnipräsent, zieht die Fäden. Ihre hohen stimmlichen Qualitäten werden noch übertroffen von den drei Geliebten Hoffmanns: Ingrid Frøseth ist eine frappant koloraturensichere, darstellerisch umwerfende Olympia, Victoria Nava eine warm timbrierte, hinreißend leidende Antonia und die stimmlich ungemein bewegliche Antje Bitterlich eine mondän-verruchte Kurtisane Giulietta.

Das Orchester folgte seinem neuen Chef Patrik Ringborg mit Frische und Schwung. Bemerkenswert sind des Dirigenten Leichtigkeit und sein hoch entwickelter Sinn für fein ausbalancierte Klangfarben. Viel Beifall.

Hoffmanns fesselnde Erzählungen in Kassel 01.10.2007 – Thüringer Allgeimeine
von Wolfgang Wicht

Patrik Ringborg, der neue schwedische Orchesterchef des Staatstheaters Kassel, bot mit der Premiere von „Hoffmanns Erzählungen“ einen vielversprechenden Opern-Einstand. Er präsentierte im kreativen Einverständnis mit der Regisseurin Gabriele Rech analytisch scharf die eisige Entfremdung der sozialen und privaten Existenz, die Jacques Offenbachs romantisch-fantastisches Modell unvergleichlich verdichtet.

Ringborg formte mit genauer Gestik die dynamischen Kontraste und die stilistischen Differenzen der musikalischen Struktur heraus. Dem Schmeichelnden der Streicherpassagen setzte er dramatische Zuspitzungen entgegen. Er machte das Unheimliche (ein gewichtiges Moment der Romantik) in der Komposition hörbar und schob es gegen die delikat und federleicht gebotenen Rückgriffe auf Offenbachs komische opera-bouffe.

Gabriele Rech revidiert Walter Felsensteins berühmte optimistische Ausdeutung aus dem Jahr 1958 rigoros. Sie zerschmettert das Denkmal des überhöhten Künstlers. Sie entwirft eine isolierte Persönlichkeit (durch Kor-Jan Dusseljees metallischen Tenor prächtig gestützt), die in ihren Begierden, Gleichgültigkeiten und Egoismen gesellschaftlich Vorherrschendes spiegelt. Hoffmanns vier Frauen erscheinen nicht mehr als schuldig, sondern werden in einer vom Teuflischen dominierten Welt gleichsam seine Opfer, wie Olympia und Antonia, oder sie gehen letztendlich kalt über ihn hinweg, wie Giulietta und die Muse (Stella). Ingrid Froeseth, Victoria Nava, Nicole Chevalier und Monika Walerowicz tragen das Konzept mimisch und sängerisch bravourös. Stefan Adam ist ein charismatischer Drahtzieher des Bösen.

Rech erfindet bestürzend radikale Bilder in Figurenkonstellation, Mimik und Einzelmetaphern, die mit beißender Schärfe eine kalte Gesellschaft vorführen, in der nur noch Sexualität und Geld heiß machen. Die Vertauschung des 2. und 3. Akts verschärft die innere Logik. Angemessener Rahmen ist Lutters Weinkeller, den Nicole Reichert als stromlinienförmige Neuberliner Designergaststätte gebaut hat. „Hoffmanns Erzählungen“ werden sich in dieser originellen und in die Sinntiefen bohrenden Kasseler Darbietung dem Gedächtnis einprägen

Dichter-Liebe 29.10.2007 – Kulturmagazin
„Hoffmanns Erzählungen“ zur Saisoneröffnung in Kassel

Gabriele Rechs Inszenierung war eine originelle Deutung des Stücks. Sie siedelt alles im unterkühlten Restaurant „Lutter’s“ an. Auch die drei von Hoffmann erzählten Frauengeschichten entwickeln sich in dieser modernen Szenerie. Alle drei Geliebten, Olympia, Antonia und Giulietta, sind von Anfang an dabei und warten auf ihren Auftritt. Ist es nun Traum, ist es erzählte Vergangenheit? Was macht’s, wenn das Tableau so spannend gestaltet ist. Gabriele Rech ist eine Meisterin im Fragenstellen, im Anreißen und Andeuten. Den Zwang zum fertigen, bis ins Letzte schlüssigen Wurf widersteht sie souverän. Für sie sind es eben nicht drei Geschichten, die einen netten Abend füllen, sondern Ausgestaltungen menschlicher Grunddispositionen. An erster Stelle natürlich ist es natürlich die Kraft des Sexus, die alle bewegt. Dass die Studenten sich über die bemitleidenswerte Olympia hermachen, die kein Automat, sondern ein von ihrem Vater dressiertes (lebendes) Püppchen ist, dass Antonia von ihrem Vater Crespel missbraucht wird, dass Giulietta als männermordende Femme fatale auftritt, sind Zeichen dieses menschlichen Urstroms.

Ganz originell gezeichnet ist die Rolle der Muse, die eine Frau aus Fleisch und Blut ist, den Dichter wirklich liebt und deshalb auch immer wieder in die Handlungen eingreift. Monika Walerowicz bekam für ihre Verkörperung der Muse berechtigterweise den größten Applaus. Mit hohen Spielqualitäten und einer tragenden, vielfarbigen Stimme war sie eine der Überraschungen des Abends. Auch Stefan Adam hatte als Lindorf, Coppelius, Mirakel und Dapertutto einen blendenden Abend und verstand es bestens, das Maliziöse seiner Rollen stimmlich umzusetzen. Hoffmann, der als Gast verpflichtete Kor-Jan Dusseljee, stand die riesige Partie zwar ohne sichtbare Ermüdung durch, hatte aber außer einem einzigen durchdringenden metallischen Register nicht allzu viel aufzubieten.

Erfreulicher waren Ingrid Frøseth als Olympia und Nicole Chevalier als Giulietta, die bei mit feiner Soprankunst aufwarteten. Victoria Nava als Antonia konnte mit ihrem vibratogesättigten Sopran da nicht mithalten. Die Nebenrollen waren durchweg gut besetzt. Der Chor hatte einen guten Start, ihm ging gegen Ende dann allerdings die Konzentration in Sachen Intonation und Einsatzsicherheit verloren.

Johannes Mundry

Hoffmanns Erzählungen Januar 2008 – Opernwelt
Albrecht Thiemann

Engagiert nimmt Gabriele Rech die blinden Flecken der „Hoffmann“-Rezeption ins Visier. Der originelle Clou ihrer Inszenierung: Sie deutet die Muse, meist zu Hoffmanns Realitätsprinzip degradiert, als den emotionalen Angelpunkt der Handlung. Sie ist nicht duldsame Beobachterin, sondern eine begehrende Frau, die sich Hoffnung auf einen als zynisch-egomanischer Schauspieler daherkommende Hoffmann macht, der die Weiber wechselt wie Mick Jagger die Groupies. Assistiert wird er dabei von einer Theaterkantinen-Entourage, die nach jeder Zerstreuung lechzt, die für die Betäubung der eigenen Leere taugt. Und sei es, dass man sich mit Gewalt Erleichterung bei den Olympias und Giuliettas verschafft. Rechs Muse ist in diesem Panoptikum die ienzige Figur, die ihren Gefühlen vertraut und folgt- auch wenn Hoffmann ihr die kalte Schulter des umschwärmten „stars“ zeigt. Die Aussschläge dieser Beziehung arbeitet die Regie anschaulich heraus, ohne zu Klischees zu greifen. Aus dem grell angestrahlten Dunkel, in dem Hoffmann festsitzt, führt auch die Kunst nicht heraus.

Der Romantik heimgeleuchtet 24.09.2007 – HNA
Eine entschiedene Deutung von „Hoffmanns Erzählungen“ eröffnete die Kasseler Opernsaison

Von Werner Fritsch

Wahrscheinlich ist es im realen Leben nicht anders: Die gesellschaftliche Fassade ist blank poliert wie das Aquariumfenster im Edelrestaurant Lutter’s. Doch dahinter tun sich Abgründe auf. Sexuelle Gewalt, Missbrauch, dunkle Geschäfte, Mord.

Gabriele Rech hat in ihrer Inszenierung von „Hoffmanns Erzählungen“ zum Spielzeitauftakt am Kasseler Staatstheater der Romantik das Licht angedreht. Und was da grell erleuchtet zum Vorschein kommt, kann einen so das Grausen lehren, dass es mit wohligem romantischem Schauer nicht mehr viel zu tun hat.

Alle sind hier in irgendwelche Machenschaften und Beziehungsintrigen verwickelt. Da ist es konsequent, dass Gabriele Rech die drei Liebesaffären des Dichters E.T.A. Hoffmann nicht als Einzelepisoden inszeniert. Stattdessen tafelt die komplette Gesellschaft bei Lutter’s. Hoffmann, seine Muse (die einzige im ursprünglichen Sinne fantastische Figur) und seine Angebeteten: die kichernde Olympia, die traurige Antonia und die Femme fatale Giulietta. Dazu die schlimmen Väter und der Dämon Lindorf, der facettenreiche Bösewicht.

Man ahnt, wohin die Reise geht, wenn anfangs farbentragende Studenten mit einer Hochzeitsgesellschaft einfallen und im Suff die Braut malträtieren. Auch Hoffmanns Liebesversuche müssen alle an der harten Realität scheitern.

Olympia ist hier weder eine Frau noch ein Puppe, sondern ein minderjähriges Püppchen. Vom Vater für Gesangsartistik dressiert, von den Männern missbraucht und als heulendes Elend liegen gelassen. Bewundernswert, wie Ingrid Frøseth ihre makellosen Koloraturen von Koketterie in Verzweiflung umschlagen lässt.

Und bereits hier zeigen der Gasttenor Kor-Jan Dusseljee als Hoffmann und Stefan Adam als Dämon in vielen Gestalten, mit toller Bühnenpräsenz und großer stimmlicher Gestaltungskraft, dass sie zwei Säulen dieser Inszenierung sind.

Es ist das Frappierende von Rechs Deutung, dass sie durch Jacques Offenbachs Musik beglaubigt wird. Erst recht in den dichtesten Momenten dieser Inszenierung, der Antonia-Episode. Eben noch tröstet Antonia (Victoria Nava mit berührender Intensität) die kleine Olympia mit dem Lied von der Turteltaube. Da wird offenbar, dass Antonia selbst das Liebesopfer ihres Vaters Crespel ist. Sein Singverbot ist eigentlich ein Erinnerungsverbot – und wieder macht sich der verblendete Hoffmann mitschuldig.

Nur Giulietta, die Kurtisane und Hoffmanns dritte Liebe, dreht den Spieß um. Nicole Chevalier verkörpert sie als mondäne Verführerin mit stimmlicher Raffinesse und Beweglichkeit. Doch hier, im so genannten Venedig-Akt, mangelt es Rechs Inszenierung an Schlüssigkeit. Die Methode des Ausleuchtens versagt bei dieser symbolhaften Geschichte, in der Hoffmann sein Spiegelbild verliert.

Ketzerischer Gedanke: Muss der Giulietta-Akt, der schon bei der Pariser Uraufführung 1881 wegen der Länge der Oper weggelassen wurde, unbedingt sein? Vermutlich ja, allein wegen der berühmten Barcarole.

Am Ende bleibt Hoffmann sein Lied von Klein-Zack im Halse stecken. Nur die Muse (stimmlich ganz stark: Monika Walerowicz) tröstet: „Man ist groß durch die Liebe, aber größer durch Tränen.“ Doch sie ist eine irreale Figur …

Sehr real und plastisch kam Offenbachs Musik aus dem Graben. Patrik Ringborg handhabte Ensemble, Chor und Orchester souverän und sorgte für feine dynamische Differenzierung und große Momente. Offenbach – schön und doppelbödig. Das war ein Vergnügen zu hören.

Nach einem langen Abend gab’s freundlichen Beifall, Bravos für die Sänger und einige Buhs für die Regie.