Don Carlo

Guiseppe Verdi
25.09.2004 | Staatstheater Kassel

MUSIKALISCHE LEITUNG: Roberto Paternostro
REGIE: Gabriele Rech
BÜHNE + KOSTÜM: Nicola Reichert
ELISABETH: Francesca Scaini / Cahterine Foster
DON CARLO: Alfred Kim
POSA: Stefan Adam
PHILIPP: Stefan Kocán
EBOLI: Lona Culmer-Schellbach / Monica Walerowicz

Presse

Welch fundamental neue Opernerfahrung! 27.09.2004 – HNA
Aufgehoben das Frontaltheater der Oper mit Bühne gegen Zuschauerraum. Dafür ein alle ansaugendes und umschlingendes Manegenrund unterm Zeltdach, die zentrale Arena des Kuppeltheaters. Hier spielt die Kasseler Oper ersatzweise den „Don Carlo“. Ersatzweise?

Sie spielt total, mit doppeltem, zehnfachen Einsatz und sie nimmt Maß an einem der schwierigsten, vielschichtigsten, undurchdringlichsten, düstersten Stücke. Nimmt Maß und rettet es.

Wie das so geht? „Don Carlo“ scheint gewartet zu haben auf die Punktlandung, die Chance seiner perfekten Einpassung in eine ganz neue Raumsituation. Verdis Vorstellung einer Durchdringung von „spectacle“ und „drame“, hier wird sie zum Ereignis. Das Drama ist mitten unter uns. Aber nicht nur als Konfliktschauplatz mit Rundumsogwirkung auf Bewegungen und Blicke. Nicht nur als bildmächtige Vergegenwärtigung eines Historienspektakels aus dem Spanien des 16. Jahrhundert. Nein, Regisseurin Gabriele Rech hat mit enormen Gespür erkannt, wie viel an gedanklicher und gefühlsmäßiger, distanzierender und involvierender Vertiefung die symmetrische Anlage ihrer Bühnenbauerin Nicola Reichert hergibt. Der nackten und blanker Schaulust preisgegebener Szenerie gibt sie ihre Seele wieder. Sie zeigt alle in diesem Käfig des Familienkonflikts und politischer Intrige…

als im Niemandsland zwischen Agression und Maskerade Umherirrende – und in die Arena Gestoßene. Ins Heute, wenn in der Volksmenge Kostümierte sich mischen, wenn quasi aus dem Publikum heraus Unschuldige abgeführt werden….

Lässt der Totaleinsatz oder die große Nähe zum Publikum die Protagonisten umso heftiger ihre Rollen erleben, erleiden – und gesanglich übergipfeln?

Sie triumphieren alle an diesem Abend.

Siegfried Weyh

Don Carlos 28.09.2004 – Fuldaer Zeitung
Glücklich konnten nach der Eröffnung der Spielzeit 04/05 alle sein: mit dem „Don Carlo“ wurde viel gewagt und alles gewonnen! Und das in einem Provisorium, im Kuppeltheater. Hier beschert uns Gabriele Rech ein Opernerlebnis. Nicola Reichert hat ihr in das riesige Zelt eine Zirkusarena gebaut, fast völlig umringt vom Publikum auf den ansteigenden Reihen. Die übliche Frontalsituation wird aufgehoben: Neue, spannende Perspektiven entstehen, Zudem hören (sehen) die meisten das Orchester seitenverkehrt, das zwischen der Manege und dem Bühnensegment auf den Rängen postiert ist. Die Sänger singen also nicht durch den gewohnten Klangvorhang.

In dieser Zirkusarena lässt Gabriele Rech fast alle wichtigen Szenen spielen. Verdis unselige Menschen erhalten so eine ungeheure Intensität….

Die Regie meistert die enormen Herausforderungen der schwierigen Historienoper bravourös, begeistert mit aufregenden Visualisierungen, offenbart verblüffenden Einfallsreichtum und schafft dank ihrer präzisen Personenführung scharfe Profile. …

Dass die Oper nicht mit dem Märchenschluss endet, sondern sich Don Carlos und Elisabeth gemeinsam vergiften, wie Tristan und Isolde den Liebestod wählen, fügt sich vortrefflich ins Konzept, das grosses Operntheater mit düsterem Kammerspiel verbindet und welches das politische Drama weniger stark akzentuiert als die menschlichen Tragödien, die sich in einem Schmelztiegel der Leidenschaften abspielen. Man erlebt in unmittelbarer räumlicher und seelischer Nähe unmögliche Zweierbeziehungen mit Menschen aus Fleisch und Blut, die lediglich andere Kleidung tragen als wir….

Feine Seelengemälde wechseln mit sinnfällig – spektakulären Arrangements der Chor – und Volksszenen, Gaukler begleiten Verdis Menschen in das Tal der Gewalt und der Tränen, …

Der üppige Szenenapplaus steigerte sich am Schluss zu einem wahren Beifallsorkan.

Eine aussergewöhnliche Produktion, die sich keine Verdianer entgehen lassen darf!

Ch. A. Brandner

Don Carlos 29.09.2004 – Giessener Allgemeine Zeitung
… So nah sitzt das Publikum selten am Geschehen. Bei „Don Carlo“ gehört es teilweise quasi zum Bühnenbild. Da ist zum einen die Manege in der Mitte, verbunden mit Stegen zum hinteren Teil der Bühne. Dort oben treten nicht nur die Darsteller auf, sondern sitzen auch die Zuschauer und sind hautnah dabei – als betrachtender Hofstaat für Philipp II. Ins Zeitalter der Inquisition fühlt sich der Zuschauer angesichts der konsequenten Linienführung bei der Ausstattung versetzt. Schwarzm unnahbar streng die Kostüme, im Stil des 16. Jahrhunderts. Streng wie das Hofprotokoll, das keine Gefühle zulässt.

Regisseurin Gabriele Rech fokussiert das Geschehen auf den alternden König, hinterfragt dessen Handlungsmotivationen, die zum fatalen Ausgang, zu Tod und Untergang führen. In diesem reglementierten Hofstaat kreist man in der blutbefleckten Arena umeinander, wie Stiere um den Torero. Gefühle heizen sich auf, bis es zur Katastrophe kommt, aus verschmähter Liebe und Staatsräson. … Das Publikum erlebt eine Sängerriege die begeistert, ein Ensemble, das harmoniert und aus der Inszenierung mit vielen Glanzpunkten ein Erlebnis macht. Das neue Logo des Staatstheaters ist ein weisser Pfeil auf rotem Grund. Mit „Don Carlos“ kann dieser Pfeil fliegen!

Susanne Adam

Don Carlos 29.09.2004 – Waldeckische Landeszeitung
Sand im Spielraum, Zuschauerplätze direkt an der Bühne, Akrobaten und Feuerschlucker: „Manege frei“ für mächtiges Musiktheater! …

Die Inszenierung von Gabriele Rech ist gelungen. Große Gesten, dramatische Arien, pathetische Szenen und massenhafter Aufruhr werden mit wenigen satirischen Details konterkariert. Studenten verteilen wie Anno 1968 Flugblätter im Publikum, aus dem heraus später Wachen die vermeintlichen Sympathisanten ( historisch betrachtet für den Freiheitskampf der Flandern) abführen. Keinen Augenblick lang wirkt der provisorische Spielort der Oper (das Staatstheater wird renoviert, man spielt in einem Kuppelzelt) wie eine Notlösung. Im sandbestreuten Rund… prägen die mit üppigen Kostümen ausgestatteten Sänger immer wieder neue, aufsehenerregende Bühnenbilder.

… eine Woge der Begeisterung ging beim Schlussapplaus durch das Publikum

Thomas Kobe

Don Carlos 30.09.2004 – Oberhessische Presse Marburg
…Die Arena wird zum Schauplatz eines bestürzend aktuellen Dramas, in dem es nur Verlierer gibt…

Es spricht für Die Regisseurin, dass es sie nicht den Weg einer wohlfeilen Inszenierung geht – mit einer Ausnahme: Im Autodafé hält sie dem Publikum den Spiegel vor, lässt es teilnehmen am Volksfest der Ketzerverbrennung. Doch sonst spielt dieser „Don Carlos“ im Spanien Philipps des II.

Gabriele Rech folgt mit ihrer punktgenauen Personenführung den Vorgaben des genialen Menschengestalters Verdi. Das geht unter die Haut, zumal die Darsteller in der Arena hautnah am Publikum agieren.

Michael Arndt

Don Carlos – Opernwelt, Novemberausgabe
Eine runde Sache machte das Staatstheater Kassel aus „Don Carlo“. …Durch einen zusätzlichen räumlichen Eingriff wurde das Zelttheater in eine Arena umgewandelt…. Gabriele Rech gelang ein eindringlicher Opernabend. Mönche und Ketzer, Gaukler und Soldaten, Granden und Gemeine in opulenter Ausstattung bevölkerten nicht nur die Arena und den hinteren Bühnenausschnitt, sondern auch die Gänge und Freiräume. Das Spektakel ergriff die Zuschauer von der ersten Minute an. Unbeteiligt konnte hier nun wirklich keiner bleiben. … Als besonderen Einfall hatte man den kleinwüchsigen Schauspieler Michael Markfort verplichtet: als Alter Ego des Prinzen Carlos. … Der Schluss überraschte dann noch einmal: Carlos und Elisabeth nehmen Gift. Die Hoffmung stirbt. …

Die Premiere wurde bejubelt, als hätte es in Kassel seit Jahrzehnten kein Musiktheater gegeben!

Johannes Mundry

Don Carlo November 2004 – Opernglas
Der erste Test gab eine brillante Wirkung: Nie war so viel Nähe zu den Sängern. Das ergab für die allermeisten völlig neue Seh- und Hörerfahrungen. Man durfte der Regisseurin Gabriele Rech und ihrer Ausstatterin Nicola Reichert dafür dankbar sein. Was geboten wurde, war eine Auffassung, die die angestaubten Schauwerte der „grand opéra“ mit all ihrem wuseligen Gepräge und ihrer pathetischen Innerlichkeit sorgfältig unter die Lupe nahm….Nach solch gelungenem Einstand ins neue Theaterjahr darf man auf weitere Varianten eines Theaters im Zelt gespannt sein.