Die tote Stadt

Erich Wolfgang Korngold
01.04.2011 | Stadttheater Bern

MUSIKALISCHE LEITUNG: Srboljub Dinic
REGIE: Gabriele Rech
BÜHNE: Stefanie Paterkamp
KOSTÜME: Gabriele Heimann
SZENISCHE ERARBEITUNG: Brigitte Lenz
PAUL: Nicolas Oettermann
MARIETTA / MARIE: Mardi Byers
FRANK / FRITZ: Gerardo Garciacano, Robin Adams
BRIGITTA: Anja Schlosser

Video

Presse

Die tote Stadt 02.04.2011 – oper aktuell
„Die Inszenierung von Gabriele Rech im schlichten Bühnenbild von Stefanie Pasterkamp und den Kostümen von Gabriele Heimann […] erreichte durch ihre Geradlinigkeit eine geradezu unheimliche Konzentration und liess der Musik den ihr zustehenden Raum.“

Kaspar Sannemann

Die tote Stadt 04.04.2011 – Berner Zeitung
„Ohne grelle Effekte entstehen wirkungsvolle Bilder, die Pauls innere Bedrängnis, die zwischen Frömmigkeit und Wahn, Traum und Wirklichkeit baumelnde Seele treffend widerspiegeln.“

Maria Kiinzli

Psychologisch adäquat 06.04.2011 – Neue Zürcher Zeitung
Alfred Zimmerlin – Er war ein genialisch begabter Junge, der österreichische Komponist Erich Wolfgang Korngold, als er dreiundzwanzigjährig 1920 seine Oper „Die tote Stadt“ in Uraufführung vorlegte. Farbig, mit erstaunlicher Charakterisierungskunst ist die Partitur geschrieben. Und doch ist es ein Stück wie aus einer andern Zeit: 1920 hatte Richard Strauss „Salome“ und „Elektra“ längst geschrieben, Alban Berg war im Begriff, „Wozzeck“ zu vollenden. Janácek komponierte „Katja Kabanová“. Mit rauschhaft süffiger Musik und einer morbid-depressiven Stimmung zwischen Libido und Todessehnsucht hatte Korngold indes eher eine Oper für das österreichische Fin de Siècle geschaffen.

Wie obsessiv könnte eine Inszenierung die Geschicht des jungen Witwers Paul ausleben, der voller Verlangen nach seiner verstorbenen Frau Maria in der „toten Stadt“ Brügge in seiner Vergangenheit lebt und durch die Begegnung mit einer Doppelgängerin der Toten, der Tänzerin Marietta, zu einem kathartischen Tagtraum bewegt wird. Gabriele Rech, die mti Stefanie Pasterkamp (Bühne) und Gabriele Heimann (Kostüme) das Werk am Stadttheater Bern inszeniert hat, tritt nicht in diese Falle. Sie unterspielt das Werk tendenziell und überlässt den Rausch der Musik, was der Dirigent Srboljub Dinic mit dem Berner Symphonieorchester überraschend zu geniessen weiss.

Mit grossem Atem lässt er die Musik strömen, schön mischt er die Farben und sorgt trotz enorm aufwendigem Apparat für eine gute Klangbalance und eine hinreichende Koordination mit dem Gesang. Die Bühne ist einfach gehalten, im realen Leben in hellem Weiss mit schwarzen Akzenten, in der Traumsequenz gleichsam als Negativ in Schwarz. Mobile Wände und ein gigantischer fahrbarer Reliquienschrein sorgen für Wandelbarkeit. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist das stilistisch angesiedelt, Mariens Bild etwa wird mit einem Carrousel-Diaprojektor an die weisse Wand geworfen. Und das Brügge der Traumsequenz erscheint mit hohem Abstraktionsgrad.

Darin aber lässt Gabriele Rech das Geschehen behutsam und auch psychologisch adäquat sich entwickeln, es entsteht ein atemberaubender Sog. Dennoch finden sich da un dort diese kleinen Irritationen, die notwendig sind, um Reflexion auszulösen. Endlich wieder einmal eine intelligente Inszenierung, die vom ersten bis zum letzten Moment durchdacht und stimmig wirkt – und das Stück weitaus messer macht, als es ist. Die Figur Pauls ist eine immense Rolle für hohen Tenor, die Niclas Oettermann am Premierenabend mit wachsender Bravour meisterte. Er fand zu strahlendem Glanz, aber auch einer eindrücklicken gestalterischen Innigkeit. Farbig und warm war der Sopran von Mardi Bryars, wunderbar geeignet für die Rolle der Marietta, die sie musikalisch uns schauspielerisch aufs Schönste mit prallem Leben erfüllte; einziges Minus: ihre oft unverständliche Diktion. Ausgezeichnet auch die beiden grösseren Nebenrollen: Anja Schlosser gab eine bewegende Brigitta und Gerardo Garciacano mit kräftigem Barition einen bemerkenswerten Frank.

Ekstase pur 05.2011 – www.art-tv.ch
Das Stadttheater Bern begeistert mit einer überragenden Produktion von Korngolds fiebriger Partitur.

Zum Stück:
Pauls Frau Marie ist tot, doch er kann ihr Ableben nicht akzeptieren. In Brügge hat er in seinem Zimmer ein Art Schrein zum Gedenken an seine Frau errichtet, hier frönt er seiner Depression und badet in seiner Trauer, seinem Selbstmitleid. Seine Haushälterin Brigitte und sein Freund Frank sind besorgt. Auf einem seiner seltenen Spaziergänge hat Paul eine Frau erblickt, welche seiner Marie verblüffend ähnlich sieht. Er lädt sie zu sich ein. Es ist die Tänzerin Marietta. Paul schlägt alle Warnungen in den Wind und vermeint, eine Reinkarnation Maries vor sich zu haben, das Glück der Gemeinsamkeit erneut zu finden. Doch Marietta entschindet wieder mit ihrer Tanztruppe, Paul versinkt in Visionen. Er stöbert Marietta auf, schleppt sie in seine Wohnung und verbringt die Nacht mit ihr. Paul quälen Gewissensbisse, er begibt sich frühmorgens aus dem Haus. Marietta durchstöbert den “heiligen Schrein”, Paul ertappt sie dabei, stürzt sich auf sie, erkennt in ihr eine billige Nutte und erwürgt sie, während draussen die Heilig-Blut-Prozession vorbeizieht. Paul erwacht aus seinem Traum. Marietta kehrt zurück und holt ihren Schirm. Paul beschliesst die Stadt der Toten, Brügge, zu verlassen.

art-tv Wertung:
Bereits nach wenigen Takten, in denen sich die schwelgerische Musik Korngolds zum ersten Mal so richtig aufschwang, war es klar: Das wird ein viel versprechender Abend werden im Stadttheater Bern. Das Versprechen wurde mehr als eingelöst – es wurde ein grosser, ja ein überwältigender Abend, ein Abend voll leidenschaftlicher, rauschhafter Ekstase, für welchen sich dann auch das Premierenpublikum mit enthusiastischem Applaus bei allen Beteiligten bedankte. Fazit: Wäre der Begriff nicht so abgedroschen, man könnte vom „Wunder von Bern“ sprechen … NICHT VERPASSEN!