Der Rosenkavalier
Johann Strauss
26.10.2003 | Städtische Bühnen Münster
MUSIKALISCHE LEITUNG: | Will Humburg |
REGIE: | Gabriele Rech |
CO-REGIE: | Benedikt Bormann |
BÜHNE + KOSTÜM: | Nocola Reichert |
FELDMARSCHALLIN: | Ines Krome |
BARON OCHS: | Daniel Lewis Williams |
OCTAVIAN: | Judith Gennrich |
HERR VON FANINAL: | Stefan Adam |
SOPHIE: | Anna Korondi |
Presse
Der Rosenkavalier 28.10.2003 – Westfälische Nachrichten
Prächtig sehen sie aus in ihren mondänen Roben: die weiss und cremefarben strahlende Feldmarschallin, der silberglänzende Octavian. Eigenartig nur, dass die Umgebung nicht mehr ganz zu diesen märchenhaften Gestalten passt. Denn die Gemächer der Marschallin sind längst von Schäbigkeit überwuchert. Der Stuck ist brüchig, schwarze Schwaden an den Wänden lassen es verständlich erscheinen, dass Notausgänge und Feuerlöscher notwendig sind. Und im Wandschrank, über der Kleiderstange stapeln sich die Putzmittel. Alles nur Fassade, sagt diese „Rosenkavalier“ – Welt, sagen Kostüme und Bühne von Nicola Reichert.
Dass diese Fassade mächtig bröckelt, zeigt spätestens die Prater – Amüsiermeile des dritten Akts. Aus den Rokokowesen sind zeitgemässe Menschen geworden, die keineswegs ihre Würde oder ihren Charakter, dafür aber manche Träume verloren haben…. Getreu dem Text Hoffmannthals „Ist nur ein Traum, kann nicht Wirklichkeit sein“ finden sich alle am Ende vereinzelt auf der Bühne und wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Im Hintergrund starrt die entsagende Marschallin in einen Spiegel, gestützt von ihren „Leib“ – Lakaien. Authentisch und mit sich im Reinen ist in Münsters Version nur der Ochs – ein deftig – derber Baron, der mit Hilfe der Feldmarschallin zwar reich heiraten will, aber trotz junger Braut allem nachsteigt, was Röcke anhat.
Im Hause Faninal, wo noch weitere Bräute warten, lässt er sich die Jungfräulichkeit der Auserwählten attestieren, und taucht in Begleitung jenes stark zurückgebliebenen Leupold auf, den man sonst kaum zur Kenntnis nimmt…denn auch in den vielen kleinen Partien ist diese Inszenierung glänzend besetzt, sowie der Chor liefert ein erstklassiges Beispiel seiner sängerischen und schauspielerischen Möglichkeiten – das ist schon prachtvoll. Die reiche musikalische Gestik, die Will Humburg mit seinem Orchester formt, tut der süßen Schwelgerei keinen Abbruch: Wer den „Rosenkavalier“ als musikalisches Vollbad erleben möchte, wird gut bedient. Wer gleichzeitig erfahren möchte, dass dieser Traum doch nicht wirklich sein kann – der ist hier ebenfalls richtig.
Harald Suerlan
Am Ende kriegen sie sich – nicht. 28.10.2003 – Münstersche Zeitung
Zwei Stunden Liebeswirren und dann kein Happy End …
Gabriele Rech zeigt in ihrer Inszenierung die dunkle Seite der Welt von Heute: melancholisch, gefühllos, ohne Zukunftsperspektive. Ein grosses Schaukelpferd auf der Bühne symbolisiert das Nichterwachsenwerden. Und das kolossale Prater – Riesenrad des Schlussbildes dreht sich unter grauem Regenhimmel. Kulissenzauber! Der Reiz dieser Aufführung liegt darin, dass ihre Modernität nicht in einem Pappkartonbühnenbild daher kommt, sondern in stilechter Pracht. Der erste Akt im Zimmer der Marschallin hätte selbst Karajan erfreut: Rot leuchtende Wanddekorationen mit Stuck, Reifröcke und silberne Perücken hat Nicola Reichert geschaffen…. Nur zwei winzige Details entlarven die Maskerade: elektrische Notausgangschilder über den Türen und Putzmittelflaschen im Kleiderschrank deuten an, dass die Marschallin aus Angst vor dem Alter in einer bizarren Vergangenheit lebt. Im zweiten Akt sind die Kostüme denn auch eineinhalb Jahrhunderte weiter. …
Wenn der Brautvater Faninal und der Baron Ochs miteinander die Hochzeit verhandeln, fallen die Masken der Zivilisation. Sophie muss sich hinter einem Wandschirm peinlich untersuchen lassen. Nachdem ihre Jungfräulichkeit festgestellt ist, fällt die ihrer Brautdamen den männlichen Hofschranzen zum Opfer…. Im letzten Akt formen die geschickt umgestellten Kulissen eine Mischung aus Kirmes und Freudenhaus. Besucher in Bluejeans signalisieren die Gegenwart: Dass aus den Verletzungen der vorangegangenen Szenen keine Liebe, sondern nur Resignation erwachsen kann, verwundert nicht. Das Schluss – Ensemble wirkt so echt wie eine Seifenoper.
… Am Ende waren dann doch alle glücklich: Plüsch – und Perückenliebhaber, Fans des Regietheaters und Freunde kulinarischen Schönklangs applaudierten Seite an Seite. Doch ein Happy End?
Manuela Jennen
Der Rosenkavalier November 2003 – Theater pur
„Ist ein Traum, kann nicht Wirklichkeit sein“ – das Schlussduett könnte das zarte Suchen nach einer Zukunft, nach einer lebbaren Utopie andeuten. Sophie und Octavian – haben sie eine gemeinsame Perspektive? In ihrer Inszenierung ging Gabriele Rech ebendieser Frage nach: Was steht am Ende dieser Oper?
Rech ist eine scharfsinnige Analytikerin, deren Sache es nicht ist, Lösungen zu präsentieren, die in allzu sinnfälligen Bildern verströmen. Auch für eindimensional psychologische Figurenausdeutungen ist bei ihr kein Raum. So zeigt sie mit ihrem Co – Regisseur Benedikt Borrmann anfangs eine scheinbar heile Rokokowelt mit Zuckerguss und gepuderten Perücken. Heile Welt? Mitnichten! Da bröckelt der Putz, Tapeten haben Risse,doch die Marschallin ist eine lebenshungrige Dame, der nicht nur der „Bub“, sondern auch Mohammed, der südländisch muskulöse Diener gelegentlich zu Willen ist. Umso härter spürbar sind all die Anzeichen des Verfalls.
Im zweiten Akt befinden wir uns in einer Halle, angesiedelt etwa in der Entstehungszeit der Oper: Die Rokokowände sind verputzt und notdürftig geflickt. Hier regieren keine Gefühle, hier werden Geschäfte gemacht. Faninal verheiratet seine Tochter nicht, er verkauft sie schlichtweg. So muss Octavian Sophie erst unter zehn anderen Bräuten suchen. – Individualität hat hier keinen Platz. Im Schlussakt ist man in der Gegenwart angekommen. Hier amüsiert sich das Volk. Und hier führt Gabriele Rech ihre erste „Rosenkavalier“ – Inszenierung zu einem absolut überzeugenden Ende: Auch wenn es einen Moment lang den Anschein hat :
in dieser Spassgesellschaft ist die Liebe Sophies und Octavians, auch unter dem Protektorat der Marschallin, nicht von Dauer. Am Ende sind alle im Rummel allein…
Den tollen Leistungen der Sänger auf der Bühne standen die der Musiker in nichts nach: GMD Will Humburg lotste das Orchester durch tosende Gefühlswelten, fand aber vor allem auch feinste Details. Eine insgesamt erstklassige Produktion, die die Erwartungen an ein mittelgrosses Haus weit übertraf.
Christoph Schulte im Walde
Der Rosenkavalier Dezember 2003 – Opernwelt, Sparte: „Im Focus“
Ob das gute Ende in der Tat so gut ist wie es scheint, hat sich schon ihr Librettist Hoffmannsthal gefragt: „Zieht Octavian Sophie wirklich zu sich und auf immer? Das bleibt vielleicht im Zweifel.“
…Gabriele Rech hat sich in ihrer, zusammen mit Benedikt Borrmann erarbeiteten, Münsteraner Neuinszenierung ganz entschieden auf die Seite des Zweifels geschlagen und damit das Zuckerwasser des Strauss´schen Schlusses mit einem kräftigen Schuss Essig vergällt.
Wenn am Ende alles gesagt und gesungen, am Bühnenhintergrund gross das Riesenrad des Praters aufgegangen und Faninal durch den Nebenausgang abgetreten ist, bleiben drei von Illusion und Selbstbetrug verblendete Menschen auf der Bühnen zurück: Die alternde Marschallin, ganz hinten gerade noch sichtbar,hält stumme Zweisprachemit ihrem Spiegel; Octavian steht am Szenenrand und wirkt unschlüssig, ja ratlos über das, was er angereichtet hat; Sophie aber hat sich in kindlicher Freude verzückt auf ein Kirmespferd geschwungen, das aus dem Faninalschen Palast hierher gewandert ist. Ob das Ganze nur ein Traum, eine Farce oder Wienersche Maskerade war, wissen die Drei wohl selbst nicht. – frei nach dem Motto: Alle rennen nach dem Glück, das Glück rennt hinterher.
Mit diesem subtil die Emotionen wie die Widersprüche der Figuren auslotenden Bild setzt Gabriele Rech ein eindrucksvolles Schlusszeichen unter ihre Inszenierung, die das Stück in einer Art Zeitsprung aus dem Wien Maria Theresias über die Entstehungszeit der Oper bis in die Gegenwart führt. Nicola Reicherts Raum hält auf dieser Zeitreise am zwar am Grundarrangement von Alfred Rollers berühmter, über die Jahrzehnte verpflichtend gebliebener Ausstattung fest, erweitert und ändert das Modell dann aber doch sichtlich. Selbst im rotgetönten Boudoir der Marschallin, das noch am ehesten den gewohnten Vorstellungen entspricht, bröckelt bereits die Farbe vpon den hie und da angeschwärzten Wänden. Erst recht irritierende Stilbrüche: Eine deutlich als Notausgang markierte Tür etwa oder das auf die Öffnung des Küchenaufzugs geklebte Poster des Prater – Riesenrads lassen ahnen, wohin die Reise an diesem Abend geht. Im weissen Salon des zweiten Aktes dann macht ein grober Kontorstisch unmissverständlich klar, dass hier gearbeitet wird und der neugeadelte Faninal seinen Reichtum erworben, nicht geerbt hat. Der dritte Akt schliesslich – das einer Rumpelkammer gleichende Separee, in dem Ochs Mariandl verführen will – kommt endgültig im Heute an.
Die kritisch montierten Szenenbilder finden ihre Fortsetzung in der ebenfalls kritisch gegen den Strich gebürsteten Personenführung. Rech setzt dabei mit geleichermassen insistiernder wie einfallsreicher Genauigkeit an den Brüchen der Handlung, wie der Figuren an. Sie zeigt, dass alle mit dem Feuer des Selbstbetrugs spielen und dies Spiel doppelbödiger, ja abgründiger ist, als die Aufführungstradition es wahr haben will. Nicht nur der derb – dreiste Schürzenjäger Ochs, auch die Marschallin, ja selbst Octavian sind keine Kostverächter. Mehr als einmal lässt Rech aufblitzen, dass das Faunsgesicht des Lerchenauers und Octavians Knabengesicht – so Hoffmannsthal – „wechselseitig vorgebundene Masken“ sind. Und sie setzt in ihrer Sicht auf das Stück auch neue, überzeugende Akzente. Etwa, wenn gleich im ersten Bild aus dem Maskottchen der Marschallin, dem kleinen Neger, ein erwachsener Mann wird, erstarrt, während der stürmischen Liebesnacht, vor ihrem Bett ausharrt und ganz am Ende, im Schlussbild wieder auftaucht und neben ihr kniet – als sei er stets ur Stelle, wenn kein anderer Liebhaber zur Verfügung steht. Ebenso erhellend ist die drastische Virginitätsprobe, der sich die Jungfer Sophie hinterm Wandschirm unterziehen muss. Ihr Herr Zukünftiger nimmt den Bericht des Arztes befriedigt zur Kenntnis. Nicht zuletzt hilft Rech der von Hoffmannsthal dramaturgisch schlecht, weil hinter dem Rücken des Publikums eingefädelten Intrige auf die Sprünge: Sie führt vor, wie Octavian am Ende des zweiten Aktes Valzacchi und Annina auf seine Seite zieht und diese ihn, während Ochs sich bereits an seinem Erfolg berauscht, zur Kammerzofe umkleiden. ….
Münsters Oper hatte an diesem ein in fast allen Partien glänzend besetztes Ensemble aufgeboten, wie man es auch an großen Häusern nur selten findet. …Münsters GMD Will Humburg wusste auch an diesem Abend das Orchester zu Höchstleistungen anzuspornen. Mit energischem Schlag und kräftigem Klang rückte er der mit „Öl und Butterschmalz“ (Strauss) komponierten Musik zuleibe, ohne darum die vielen Finessen und Feinheiten der von ihren Verächtern denn doch geschätzten Partitur zu übergehen…. Alles in allem musikalisch wie szenisch ein grosser Abend der Münsteraner Oper.
Uwe Schweikert