Der ferne Klang

Franz Schreker
30.04.2011 | Staatstheater Nürnberg

MUSIKALISCHE LEITUNG: Philipp Pointer
REGIE: Gabriele Rech
BÜHNE: Dirk Becker
KOSTÜME: Gabriele Heimann
GRETE: Astrid Weber
FRITZ: Michael Putsch
GRAF / RUDOLF / SCHMIERENSCHAUSPIELER: Jochen Kupfer
DR: VIGELIUS / EIN WINKELADVOKAT / BARON: Guido Jentjens
ALTES WEIB / SPANIERIN / KELLNERIN: Teresa Erbe

Presse

Der ferne Klang 01.05.2011 – Bayrischer Rundfunk BR-online
„Der ferne Klang“: Neuinszenierung der Franz-Schreker-Oper am Staatstheater Nürnberg / Manische Bildwelten: Eine Retrospektive auf das Werk von Adolph Wölfli im Alten Rathaus in Ingelheim / „Viel Lärm um nichts”: Peter Rein verabschiedet sich mit Shakespeare vom Theater Ingolstadt / Utopie des schreibenden Arbeiters: Der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt in München

Der ferne Klang 01.05.2011 – BR 5 aktuell / 02.05.2011 – BR Klassik Allegro
Kritik „Der Ferne Klang“, Staatstheater Nürnberg
Autor: Peter Jungblut

Glühend, flirrend und schwül ist die Stimmung in dieser Oper. Blutrot steht die Sonne am Horizont, wie im Fieber taumeln die Personen durch ihr Leben. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg, als Franz Schreker seinen „Fernen Klang“ komponierte, war Europa tödlich infiziert mit Schwermut, Langeweile und Überdruss. Die Expressionisten sahen das millionenfache Sterben voraus und schrieben ihre hitzigen Fantasien vom Ende der Zivilisation, steigerten sich in halb wahnhafte, halb visionäre Alpträume hinein.

All das wurde gestern Abend im Staatstheater Nürnberg unglaublich gefühlsgeladen, erregend und mit überbordendem Orchesterklang auf die Bühne gebracht. Regisseurin Gabriele Rech siedelt das Stück genau an, wo es seine Stärken voll entfalten kann: Zwischen Psychoanalyse, Traumdeutung und Gewaltfantasien, geht es doch im „Fernen Klang“ um Menschen, die ihre Ideale verlieren, die vom Leben furchtbar enttäuscht werden und daran zugrunde gehen.

Die grelle, lodernde Musik von Franz Schreker und die auf den ersten Blick banale Handlung können den „Fernen Klang“ heutzutage schnell in den Kitsch abgleiten lassen. Doch Gabriele Rech und ihr Bühnenbildner Dirk Becker beeindruckten mit ungemein intensiven, düsteren Bildern, die zwischen Märchen und Alptraum schwanken, so dass Figuren wie Rotkäppchen und Sterntaler sich im Bordell wiederfinden, wo sie auf einem Spielzeugpferd mit sadomasochistischem Zaumzeug reiten. Die Handlungsorte werden durch Kulissenteile sparsam, aber effektvoll angedeutet: ein Vorgarten, ein Märchenwald, ein Edel-Bordell mit Zirkusatmosphäre, ein Bahnhof, der keinen Namen hat.

Durch all diese Lebensstationen taumeln und drängen Grete und Fritz, zwei Menschen, die beide vom Glück träumen und das Elend finden. Grete sucht die große Liebe, Fritz die große Kunst, symbolisiert durch den Titel gebenden „Fernen Klang“. Am Ende ist er tot und sie in der Gosse, im Expressionismus gibt es keine Halbheiten. Um das glaubwürdig darzustellen, braucht es Sängerinnen wie Astrid Weber, die die Grete so aufwühlend singt und spielt, dass es ihr Partner Michael Putsch als Fritz schwer hat, mitzuhalten. Obendrein peitscht Dirigent Philipp Pointner das Orchester immer wieder zu Klangkaskaden auf, die außer Astrid Weber kaum einer der Sänger durchdringen kann.

Kein Abend für sensible Naturen, die fein gesponnene, transparente Musik bevorzugen. Der junge Franz Schreker stand ganz unter dem Eindruck von damals brandneuen Richard-Strauss-Opern wie „Salome“ und „Elektra“, monumentalen Kompositionen, in denen Exotik und Erotik kombiniert wurden. Das mag manchem schwülstig erscheinen, doch es gibt auch den Blick frei in die Abgründe der menschlichen Seele. „Der Ferne Klang“ stellte sich in Europa als Kanonendonner heraus – er war für viele Millionen tödlich, und davon erzählt Franz Schrekers Oper meisterhaft.

Ein großer Abend am Nürnberger Staatstheater.

Kreislauf des Schicksals 01.05.2011 – donaukurier.de
In der Kölner Oper hat die neue Spielzeit begonnen und eigentlich sollten ab jetzt wegen der geplanten Sanierung alle Aufführungen an anderen – ungewöhnlichen – Orten in Köln gespielt werden. Wir haben darüber ja schon berichtet, die erste Premiere fand im alten Gerling-Gebäude statt. Nun ist die Sanierung der Oper aber verschoben worden und so wird im maroden Opernhaus auch noch weiter gespielt. Gestern Abend fand dort die zweite Premiere der Saison statt: „Elektra“ von Richard Strauss, ein heftiges Stück aus der griechischen Mythologie – und die Musik dazu ist auch keine leichte Kost. Die Sache scheint aber richtig gut geworden zu sein. Also doch noch mal: große Oper im großen Opernhaus am Offenbachplatz.

Extreme Gefühle stehen im Mittelpunkt von Richard Strauss’ Oper „Elektra“. Es geht um Mord und Totschlag, um zerstörte Familienehre und blutige Rachegelüste bis hin zum Wahnsinn. Ein beklemmend schweres Thema – nichts für schwache Nerven.

Mit eindringlichen Bildern in einer ganz modernen Inszenierung hat die Regie diese düstere Geschichte aus der griechischen Mythologie auf die Bühne gebracht. Obwohl es gar nicht viel Handlung gibt, kommt keine Sekunde Langeweile auf. Die wirklich großartigen Sänger und das brillante Orchester sorgen hier musikalisch für Dramatik pur – allen voran Catherine Foster in der Rolle der „Elektra“. Faszinierend auch der Auftritt des berühmten mittlerweile 73-jährigen Startenors René Kollo.

Gerade mal eindreiviertel Stunde dauert dieser albtraumartigen Psycho-Thriller, doch er entpuppt sich als ein musikalisch-fesselnder Höllentrip, der das Publikum unweigerlich in seinen Bann zieht. Musikalisch, inhaltlich und auch optisch ist so manche Szene starker Tobak. Man sollte also wissen, auf was man sich hier einlässt. Wer aber die intensive Musik von Richard Strauss mag und sich von dem blutrünstigen Thema nicht abschrecken lässt, der kann hier eine ganz großartige Aufführung mit einer Spitzen-Besetzung erleben. Oper auf höchstem Niveau.

Nach der gestrigen Premiere gab es donnernden Applaus und viele Bravos für alle Sänger und für das Orchester. Für das Team um Regisseurin Gabriele Rech gab es neben vielen Bravos auch ein paar einzelne Buhrufe. Vor der Kamera äußerten sich aber alle Zuschauer begeistert.

Und nun die Lokalzeit-Kritik:
Man bekommt hier ein hochemotionales Opernerlebnis geboten,
das von Sängern wie Orchester mit Gänsehaut-erzeugender Intensität präsentiert wird und von der Regie dazu beklemmend karg inszeniert wurde.
Kurz: dieser Opernabend geht tief unter die Haut.
Daher alle fünf Sterne für „Elektra“ von Richard Strauss im Kölner Opernhaus

Seelennot im deutschen Wald 01.05.2011 – Nürnberger Zeitung nordbayern.de
Ausgraben muss man eine musikalische Perle wie Franz Schrekers 1912 in Frankfurt uraufgeführte Oper „Der ferne Klang“ ja zum Glück nicht mehr. Bei den Werken der durch die Nationalsozialisten von den deutschen Bühnen getilgten, sogenannten „entarteten“ Komponisten hat die Inszenierungspraxis der letzten zwei Jahrzehnte zumindest die schlimmsten Verluste kompensieren können.

Rauschende Klangpracht, intime kammermusikalische Momente und ein psychologisch vielschichter Stoff, der mitten ins Herz der deutschen Romantik zielt: Mit diesen Qualitäten punktet im Nürnberger Opernhaus Franz Schrekers Oper „Der ferne Klang“, die am Samstag Premiere feierte. Hier ein paar szenische Eindrücke von einem Werk, das in der Nazi-Zeit als „entartet“ diffamiert war und deshalb über 80 Jahre nicht mehr im Opernhaus zu sehen war. Fotos auf www.nordbayern.de von Ludwig Olah/Staatstheater Nürnberg

Dem „Fernen Klang“ etwa wurde an der Berliner Lindenoper oder in Zürich jene künstlerische Beachtung geschenkt, die dieses frühe Meisterwerk des aus bürgerlich-jüdischem Milieu entstammenden Schreker (1878–1934) verdient.

Noch einmal eine andere Herausforderung ist es, so eine ursprünglich sehr erfolgreiche, dann lange ins Vergessen gedrängte Oper, die im Schnittpunkt von Spätromantik, Moderne und einer jung vollendeten, exotisch eigenwilligen Klangsprache steht, für die Bühnenpraxis eines mittleren Hauses wie dem Nürnberger Staatstheater tauglich zu machen.

Die jüngste Produktion des Opernhauses, die am Samstagabend Premiere hatte, leistet hier Vorbildliches. Gabriele Rech, die vor zwei Jahren schon für Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ eine psychologisch fesselnde Deutung fand, und der damals ebenfalls am Pult stehende Dirigent Philipp Pointner fächern beide die in diesem Werk enthaltene kreative Substanz facettenreich auf.

Das Künstlerdrama, bei dem der junge Komponist Fritz seine Geliebte Grete in einem Provinznest ihrem Schicksal überlässt, weil er glaubt, sich auf die Suche nach dem „fernen Klang“ begeben zu müssen, versetzt Rech mitten ins walddunkle Zentrum deutscher Märchenromantik – samt Gartenzaun und Holzhäusern. Die Psyche Gretes, die von ihrem saufenden Vater (Klaus Brummer als ignoranter Strickwesten-Biedermann) als Spieleinsatz an einen Gastwirt (Dariusz Siedlik mit lüsterner Brutalität) verwettet wird, interessiert sie dabei mehr als die von Fritz. Der bleibt bis zu seinem Tod als alter, erfolgloser Komponist emotional unzugänglich, liebesunfähig und verklemmt – vielleicht auch deshalb, weil Michael Putsch sich in diese Partie mit seinem metallisch harten Tenor zwar weitaus besser einfand als kürzlich in den „Carmen“-Don-Jose, aber dennoch am Seelendrama dieser Figur gerade mal kratzte.

Grete wird zwischen nackten Wänden erst von der geifernden Wirtshaus-Meute (prägnante Eindrücke auf knappem Nebenrollen-Raum liefern hier erstmals Guido Jentjens und Jochen Kupfer) in die Enge getrieben, dann, nach ihrer Flucht in den Wald, auf leerer Bühne sich selbst überlassen. In dieser absoluten Einsamkeit entdeckt sie ihre kindliche Seele, die Rech mit einem weiß gekleideten, von Waldbeeren wie mit Blut beflecktem Mädchen symbolisiert.

Die alte Frau, die ihr dann Mut zuspricht, erweist sich als falsche Freundin: Sie ist eine Kupplerin (so souverän singend wie rauchend: Teresa Erbe), mit ihr beginnt Gretes „Karriere“ als Kurtisane. In diesem Akt, der in einem venezianischen Bordell spielt, entfalten Philipp Pointner, die Philharmoniker, aber auch die in die sphärischen Höhen der obersten Proszeniumsloge entrückten Chöre die hypertrophe Pracht von Schrekers Partitur. Das orchestrale Aufrauschen rückt ins Zentrum, die Motivarchitektur ist kompliziert geschichtet, sogar eine Bühnenmusik ist integriert, die reichlich bestückten Perkussionisten steuern exotische Akzente bei, das schwere Blech leistet wagner-schwere Basisarbeit, das Orchester spielt auf höchstem Niveau und nahe an jenem Ideal, das Nürnbergs Ex-GMD Christian Thielemann neulich in gewohnter Eigenwilligkeit als „deutschen Klang“ definiert hat: „Dunkel mit Leichtigkeit“.

Per Schaukel ins frivole Treiben

Rech lässt Grete als Edelkurtisane wie die Dietrich von oben auf einer Schaukel ins frivole Treiben einschweben, bei dem sich venezianischer Karneval und 20er-Jahre-Chic mischen. Der Sängerwettbewerb, den Grete aus Langeweile und mit sich als Hauptpreis – sie ist seit ihrer Kindheit nichts anderes gewohnt – ausruft, wirkt wie eine grelle Parodie auf den Wartburg-Streit im „Tannhäuser“, versehen mit einem ordentlichen Schuss bewusstseinserweiternder Substanzen aus Klingsors Zaubergarten.

Hervorragend bewältigt Astrid Weber als Gastsängerin die Anforderungen der Partie der Grete: Kindliche Verletzlichkeit, hinter expressiven Provokationen und überdrehter Feierlaune sich versteckende Seelennöte und das Zurückgeworfensein auf die gottverlassene Einsamkeit der alten, gefallenen Frau: All das vermittelt die Sopranistin, die diese Partie schon seit Peter Mussbachs Lindenoper-Inszenierung beherrscht, eindrücklich und mit großer stimmlicher Souveränität.

Das Ende, das Alter, die Erkenntnis einer vergeudeten Liebe und eines vergeudeten Lebens: Gabriele Rech findet auf einem Bahnhof ohne Namen zu einem existenzialistisch kargen Finale. Als Fritz in Gretes Armen stirbt und das Licht verlöscht, erheben sich ein paar einzelne, aber markante Buhs. Sie treffen eine Produktion, die die bislang beste und fruchtbarste der Saison ist. Der deutliche Applaus drängt die Buhs bald zurück – doch zeigt dieser Moment, dass eine über 80-jährige Lücke in der Rezeptionsgeschichte eines Werks – „Der ferne Klang“ hatte 1924 in Nürnberg Premiere – sich nicht so einfach schließen lässt. Sie hat auch Schaden im Urteilsvermögen einiger Operngänger hinterlassen.