Carmen

Georges Bizet
05.12.2009 | Nationaltheater Mannheim

MUSIKALISCHE LEITUNG: Dan Ettinger
REGIE: Gabriele Rech
BÜHNE: Sandra Meurer
KOSTÜME: Reneé Listerdal
CARMEN: Edna Prochnik
JOSÈ: Jeffrey Francis / István Kovácsházi
MICAELA: Marina Ivanova / Iris Kupke
ESCAMILLO: Thomas Berau / Jacco Venter

Presse

Nationaltheater Mannheim: CARMEN am 24.11.2014 – Online Merker
Gabriele Rech hat in ihrer aus 2009 stammenden behutsam modernisierenden Inszenierung unter weitgehendem Verzicht auf spanische Folklore zwei psychologisch motivierte erhellende Aspekte eingebacht, die die Figur des Don José betreffen. Dieser steht von Beginn an statuarisch an der Rampe mit schwarzer Augenbinde um den Kopf und erwartet seine Hinrichtung. In dem Augenblick, in dem Carmen ihm die Blume zuwirft, die ihn „wie eine Kugel zwischen die Augen traf“, greift er ins Geschehen ein und wird Mitträger im weiteren Verlauf der Oper von G.Bizet. Auch die direkt folgende Szene führt noch tiefer in seine Erinnerung. Er trifft Micaela in der Stube seiner Mutter, die eben aus der Bühnentiefe hochgefahren kommt, an Stelle, wo gerade noch die Tabakfabrik stand (Bühnenbild: Sandra Meurer). Deren Boden ist übersät mit Erinnerungsschnitzeln von Briefen, und man sieht sogar in eine kleine erkerartige Schlafnische mit Kreuz überm Bett, was fast surreal anmutet. Gabriele Rech vertritt die These, daß Don José eigentlich Carmens ‚große Liebe‘ ist, da er ihr anders als alle Männer erscheint. Den Widerspruch, warum sie nicht bei ihm bleibt, obwohl er alle Brücken zu seinem vorherigen Leben abbricht, kann sie aber auch nicht auflösen. Natürlich zeigt sie José auch stark ‚besitzergreifend‘, aber wirklich Liebe hat ja immer auch mit ‚Besitz‘ zu tun.

Die gutbesuchte Aufführung war als ‚Solidaritätsvorstellung‘ ausgewiesen. Es spielte das Symphonieorchester der Musikhoschule Mannheim, die von einschneidenden finanziellen Kürzungen bedroht ist, und machte seine Sache sehr gut. Besonders die solistisch eingesetzte Flöte und Picccoloflöte, Klarinette und auch verschiedene Blechbläser bliesen virtuos und mit Animo, wie auch die fatalen Schicksalstellen gekonnt unter der Leitung Joseph Traftons vom Nationaltheater genommen wurden. Gespielt wurde in der heute immer üblicher gewordenen Fassung mit französisch gesprochenen Zwischentexten, wie von Bizet in seiner ‚comique‘ intendiert und ohne die anderweitig hinzugefügten Rezitative.

Chor, Extrachor (Anton Tremmel) und Kinderchor (unter Anke-Christine Kober) hatten großartige Auftritte, in 4.Akt alle auf der total leeren Bühne. Gunter Möckel gibt prägnant den Lillas Pastia im Kurzdialog mit Carmen. Dancairo(Raymond Ayers) und Remendado (Raphael Wittmer) kammen szenisch markant zum Einsatzund vertraten die gute Männerseite des Gesangsquartetts mit Mercedes (Ludovica Bello mit etwas sprödem aber farbreichem Mezzo) und Frasquita (Vera-Lotte Böcker mit fein-perlendem Sopran), beide auch tänzerisch agil und gut inszeniert in der Kartenszene. Der Morales ist Joachim Goltz mit metallenem Bariton und deftigem Zugriff auf Micaela bei deren ersten Auftauchen. Der anderere Soldat Zuniga Magnus Piontek kann sich mit dunkel autoritativem Baß nicht nur im Rang von ihm absetzen. Der Escamillo kommt schon fast in der Lichtgestalt des Bartosz Urbanowicz daher, auch mit ausreichend stimmlich baritonalen Mitteln. Cornelia Ptassek überzeugt mit ihrem wie Platin timbrierten Sopran – eine weiße Erscheinung wie aus einer anderen Welt. Roy Cornelius Smith scheint die Rolle des Don José wie auf den Leib geschnitten. Er hat in der Höhe diese unglaublichen Reserven, die aufhören lassen und mit denen er elektrisieren kann. Marie-Belle Sandis setzt ihren warmen und hell-timbrierten Mezzosopran mit viel individueller Gestaltung ein und ist eine wirklich anrührende Figur, die die Szene trotz ihrer weichen Zeichnung jederzeit beherrscht.

Friedeon Rosén

Carmen 07.12.2009 – Rhein-Neckar-Zeitung
„Ettinger hat wirklich alles im Griff, die Abläufe zwischen Sängern und Orchester genauso wie die gezielten Subtilitäten in Tempo oder Dynamik. Dass er sich absolut auf alle verlassen kann, zeugt von guter Probenarbeit. Hier weiß absolut jeder, was er tut – und das ist nicht der Normalfall am Theater.“

Carmen 07.12.2009 – Die Rheinpfalz
„Klar ist […], dass Carmen hier keine Sexbombe sein soll. Das ist auch gut so. Die Sängerin der Titelrolle, Edna Prochnik, agiert und singt denn auch alles andere als aufdringlich, manchmal fast schon verhalten. Es geling ihr dabei aber gut, einen leichten, fast schon ein wenig chansonhaften Ton mit innerlich bewegten Aufschwüngen zu verbinden: eine ernste und glaubhafte Deutung. Jeffry Francis gibt den Don José mit Leidenschaft und gleichwohl mit überlegtem Einsatz der stimmlichen Kräfte. Die Blumenarie singt er weich und dezent in der Dynamik. Marina Ivanova überzeugt als Micaela durch zarten, lyrischen Vortrag.“

Carmen 07.12.2009 – Mannheimer Morgen
„Sie [Marina Ivanova als Micaela] schwebt über die Bretter und singt betörend. Vielleicht deswegen sehnt sich der Don José von Jeffrey Francis nach ihr. Das Duett „Parle moi de ma mêre“ im nach oben gehievten weißen Raum mit Kruzifix strahlt sehr viel Wärme aus, Francis selbst überzeugt vor allem im Forte, wo er klar und edelmetallisch klingt. Jaco Venter beeindruckt mit einem fulminant mächtigen und klar artikulierten Escamillo wie auch Radu Cojocariu (Zuniga), Nikola Diskic (Moralés) und Benjamin Dami (Lillas Pastia). Über allem: ein plastischer, transparenter (Kinder-)Chor- und Orchestersound, der strömt, glüht, brennt. Mannheim hat in Ettinger einen Pultstar gefunden.“

Georges Bizet Carmen 05.12.2009 – Nationaltheater Mannheim
Der spanische Soldat José verfällt der Fabrikarbeiterin Carmen. Er gibt für sie sein bürgerliches Leben und seine Selbstachtung auf und gerät in einen immer tieferen Strudel der Abhängigkeit. Als sie ihn verlässt, bleibt ihm nichts mehr. In rasender Verzweiflung ersticht er sie.

Bizets Carmenfigur eröffnet die Liste erotischer Frauengestalten, an denen seit dieser Zeit männliche Opernhelden verglühen. Viel weniger als Carmens spätere Geschwister Salome und Lulu ist sie selbst dabei aber bloßes Geschöpf aus dem Reich männlicher Fantasien. Bizets Oper ist eine ausgefeilte soziale Milieustudie mit Figuren von hoher psychologischer Glaubwürdigkeit. Carmens offensiver Umgang mit der Anziehung, die sie auf Männer ausübt, ist ihre Waffe im Kampf um das bisschen Lebensglück, das sie dem Leben am unteren Rand der Gesellschaft für sich abzutrotzen versucht.

Das Publikum der Pariser Uraufführung zeigte sich düpiert von Bizets realistischem Porträt einer sozialen Schicht, in der roher Lebenshunger herrscht, das Gesetz der Straße regiert, Konflikte und Enttäuschungen nicht anders als durch Gewalt ausgetragen werden.

Ein erster geringer Erfolg war seiner Carmen wenige Monate später in Wien beschieden, Bizet freilich erlebte ihn nicht mehr: An einem Herzanfall war er nach den Querelen um diese Oper gestorben.

Mit freundlicher Unterstützung der Freunde und Förderer des Nationaltheaters Mannheim e.V.